«Pinocchio» von Walt Disney (Blu-ray)

«Pinocchio»

Wie war das schon wieder mit dem Gewissen? «A consience is that still, small voice, that people won’t listen to. That’s just the trouble with the world today.» Ein Gewissen ist die leise, kleine Stimme, auf die Menschen nicht hören wollen. Das ist das Problem mit der heutigen Welt. Manchmal ist also auch ein 70 Jahre alter Film ganz aktuell. Wie jetzt eben «Pinocchio». Der feiert sein offizielles Jubiläum zwar erst nächstes Jahr, die wunderbare Blu-ray-Disc zum «70. Jubiläum» ist jedoch schon jetzt erhältlich.

Für die Umsetzung der Fabel von Carlo Collodi nahmen sich die Filmemacher zahlreiche erzählerische Freiheiten, blieben dem Geist der Erzählung aber weitgehend treu. Bemerkenswert sind vor allem diverse technische Neuerungen und, bezeichnend für spätere Disney-Filme, die Einführung des «Guten Gewissens» in Form der Grille Jiminy Cricket. Das hat die zum Leben erweckte Holzpuppe Pinocchio dringend nötig, denn er möchte einmal ein richtiger Junge werden. Dazu muss er allerdings die Bedingung der Fee erfüllen: «Prove yourself brave, truthful, and unselfish, and someday you will be a real boy.» Er muss beweisen, dass er mutig, ehrlich und selbstlos ist.

«Pinocchio»Jiminy Cricket ist sicher nicht die erste Wahl für ein Gewissen, so wie er einer hübschen Dame mit unwiderstehlichem Augenaufschlag keinen Wunsch ausschlagen kann. Aber genau deshalb wird er vermutlich von der verführerischen Fee auch zum Gewissen von Pinocchio bestimmt. Und so kommt es, wie es kommen muss: «I dub you Pinocchio’s conscience, Lord High keeper of the knowledge of right and wrong, counselor in moments of temptation and guide along the straight and narrow path. Arise, Sir Jiminy Cricket!» Der restliche Film würde sich natürlich erübrigen, wenn Pinocchio seinem Gewissen folgen würde. Aus den Abweichungen vom graden und engen Weg besteht der Spass.

Abgesehen davon, dass Pinocchio äusserst treuherzig ist, hat Jiminy rein physisch immer wieder Mühe, dem hölzernen Jungen auch wirklich zur Seite zu stehen. Mit so kurzen Beinen helfen auch die weitesten Sprünge nicht immer weiter. Selbst wenn das schelmische Gewissen einmal zur Stelle ist, so lässt sich Pinocchio trotzdem immer wieder von Betrügern einwickeln. So kann Jiminy an einer Stelle nur noch resigniert fragen: «What does an actor want with a conscience anyway?» So ein Gewissen hat es eben nicht einfach.

Für die «Platinum Edition» haben die Produzenten der Blu-ray-Disc wieder einmal ordentlich die Archive durchstöbert. Das Kernstück auf der Blu-ray-Disc düfte allerdings der Videokommentar mit Animator Eric Goldberg und den Filmhistorikern Leonard Maltin und J.B. Kaufman sein. Sie weisen auf bemerkenswerte Details im Film hin, etwa die Technik des Trockenmalens bei verschiedenen Figuren, und diskutieren über die Produktion. Zudem sind in den Videokommentar Skizzen, Storyboards und Interviews mit den Zeichnern wie Ollie Johnston, Frank Thomas und Ward Kimball eingebaut.

Selbst Maltin, Kaufman und Goldberg müssen über einige Kniffe in der Handlung lachen. Wenn etwa Pinocchio zur verlassenen Werkstatt von Geppetto zurückkehrt, erscheint plötzlich eine Taube mit einem Brief, in der erwähnt wird, dass sich der Spielzeugmacher gerade im Bauch des Riesenwals Monstro befindet. Der Ausweg aus dieser Sackgasse ist zweifellos nicht gerade sehr subtil gewählt, sorgt aber zumindest dafür, dass das Tempo aufrecht erhalten bleibt.

Gelegentlich übertreibt es Maltin mit seinem Enthusiasmus auch ein wenig, besonders wenn er das Selbstverständliche als Ausserordentliches hervorhebt. Es ist zwar nicht unbedingt selbstverständlich, aber aus der Erfahrung von «Snow White and the Seven Dwarfs» doch nachvollziehbar, dass die Animatoren wussten, wie sie Kamerawinkel und Beleuchtung einsetzen mussten. Diese Mittel haben sie tatsächlich sehr kunstvoll eingesetzt. Schliesslich sind sie nicht einfach Zeichner, sondern eben Filmemacher.

Meaghan Jette Martin singt «When You Wish Upon a Star»Auf der Hauptdisc sind auch noch ein Musikvideo von Meaghan Jette Martin (Bild) enthalten sowie zwei Spiele von denen vor allem das Ratespiel über den Film zu empfehlen ist. Es lässt sich in zwei Schwierigkeitsstufen, mit unterschiedlicher Anzahl Spieler und wählbarer Spielzeit (zwischen 10 und 90 Minuten) abspielen. Auf der Experten-Stufe sind die Fragen tatsächlich ziemlich knifflig. Immerhin habe ich es in zehn Minuten auf 37 Punkte geschafft. Einziger Nachteil: für jede Frage stehen 45 Sekunden zur Verfügung, die auch nicht verstreichen, wenn die Frage beantwortet ist. Ganz so gelungen wie das Spiel auf der Blu-ray-Disc von «Enchanted» ist es also nicht.

Auf einer zweiten Blu-ray-Disc sind einige weitere Spiele und diverse Dokumentationen enthalten. Der 56-minütige Bericht «No Strings Attached» betrachtet die einzelnen Elemente der Produktion von den visuellen Komponenten (für die Details in der Werkstatt von Geppetto ist demnach der der Schweiz geborene Albert Hurter verantwortlich gewesen) über die illustren Stimmen hinter den Figuren bis hin zur Musik. Daneben werfen entfallene Szenen, als Referenzmaterial verwendete Realfilmaufnahmen und ein kurzer Bericht über die Entwicklung der Ideen einen Blick auf die verschiedenen Arbeitsschritte.

«Pinocchio» mit «Disney View»

Die eigentliche Neuerung auf der Blu-ray-Disc ist die Präsentation von «Pinocchio». Auf Wunsch kann das Bildformat durch die sogenannte «Disney View» erweitert werden. Der Grund dafür: Da der Film im Format 4:3 produziert wurde, erscheinen auf den modernen 16:9-Fernsehern schwarze Balken auf der rechten und linken Seite des Bilds. Damit Konsumenten, die keine Ahnung von Filmgeschichte und Filmformaten haben, nicht plötzlich entsetzt sind und das Bild verzerren, führt Disney eine seitliche Erweiterung des Bilds ein: von Toby Bluth handgezeichnete Balken, die Motive aus dem Film aufnehmen und sozusagen als Buchstützen dienen.

«Disney View» für «Pinocchio» von Toby BluthPuritanisten wie ich können darüber nur den Kopf schütteln, aber die Sorgen des Studios rechtfertigen eine solche Ergänzung durchaus. Um die neue Erfindung den Journalisten zu erklären, hat Disney Ende Februar zu einer Internet-Telefonkonferenz mit Künstler Toby Bluth und Evan Acosta vom Produktionsteam eingeladen. Bluth, der jüngere Bruder von Animationsfilmer Don Bluth, erzählte vor allem von seiner Jugend in Payson, Utah, den ersten Erfahrungen mit Disney-Filmen bis hin zu seiner Karriere als Zeichner für Disney Fine Art.

Acosta erläuterte dazwischen die technischen Überlegungen hinter «Disney View»: «Of course, the collectors will want the original film in its original ratio.» Disney ist sich also sehr wohl bewusst, dass die Sammler die ursprünglichen Formate wünschen. Aber es gibt eben auch andere Konsumenten, die verwirrt sind, wenn auf dem Fernseher schwarze Balken erscheinen: «We were concerned that viewers would be disappointed with the black bar spacing, and we didn’t want the viewer to feel as if they had to stretch or distort the film to fill those black bars, because most people when they view anything with 4 by 3 presentations, they tend to zoom or stretch the image on their screen, therefore distorting the film.»

So wird nun also diese Lösung angeboten. Es stellt sich natürlich die Frage, ob die erwähnten Banausen klug genug sind, das erweiterte Bild überhaupt zuzuschalten. Es ist aber immerhin erfreulich, dass sich die Produzenten bei Disney ihrer Verantwortung bewusst sind und nicht durch Zerstückelung des Bilds den gewünschten Effekt erzwingen. Bleibt noch zu erwähnen, dass die Bildqualität dieses visuell opulenten Films bezaubernd ist und auch die Tonspur überzeugt. An die Brillanz der Blu-ray-Disc von «Sleeping Beauty» kommen die Werte allerdings nicht ganz heran. Ach ja, und den beiden Blu-ray-Discs ist auch noch eine DVD von «Pinocchio» beigelegt.

Film: 5 Sterne
Bildqualität (Blu-ray): 6 Sterne
Tonqualität (Blu-ray): 5 Sterne
Bonusmaterial (Blu-ray):
6 Sterne

(Bilder: ©Disney)

2 comments

  1. Ich muss sagen, ich warte schon ganz gespannt auf die Blu-Ray und die Idee mit den neu gezeichneten Balken rechts und links, finde ich recht gut. Bin gespannt, wie das dann beim Schauen wird. Ich hab mal woanders gelesen, dass das ein Feldversuch von Disney ist und sie sehen wollen, wie die Balken ankommen. Kommen sie gut an, dann wird es sie z.B. auch bei Snow White im Herbst geben.

  2. Ich finde es sehr schade, dass nur die 2. deutsche Synchronfassung draufgepresst wurde. Die Synchronasiation der deutschen Uraufführung ist viel besser als die aus den 70er Jahren.

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