Locarno 09: Erkenntnisse aus drei Manga Impacts

«Cyborg 009 gekijô ban: chô ginga densetsu»

Manche Kinobesuche, besonders solche an Filmfestivals, lösen einen Lernprozess aus. Meine Erkundung von drei Vorführungen des Locarno-Sonderprogramms «Manga Impact – The World of Japanese Animation» hat dazu geführt, dass ich mich fortan hauptsächlich auf Produktionen konzentrieren werde, die nach 1990 entstanden sind. Weder «Cyborg 009: Legend of the Super Galaxy» (1980) von Masayuki Akihiro noch «Kimba, the White Lion» (1966) von Eiichi Yamamoto haben mir nämlich wirklich gefallen. Interessant waren hingegen die Kurzfilme von Noburô Ôfuji.

Die Geschichte von «Cyborg 009: Legend of the Super Galaxy» («Cyborg 009 gekijô ban: chô ginga densetsu») ist durchaus faszinierend. Eine Gruppe von neun Cyborgs, durch Experimente mit Superkräften ausgestattete Menschen, müssen das Universum vor der Zerstörung retten. Der ausserirdische Bösewicht Zoa hat es nämlich auf die im Zentrum des Universums befindliche Energie abgesehen. Die Vortex würde ihm volle Kontrolle über alle Planeten sichern. Damit ihm niemand zuvorkommt, zerstört er eine Zivilisation nach der anderen. Die Cyborgs erfahren durch den Ausserirdischen Saba von Zoas Plänen und begleiten ihn in seinem Raumschiff (das wirklich ein Schiff ist).

Die Umsetzung von dieser abenteuerlichen Geschichte ist dann nicht ganz nach meinem Geschmack ausgefallen. Am stärksten haben mich die sehr steifen Bewegungen und die stark reduzierten Lippenbewegungen gestört. Wenn eine Figur spricht, gibt es meistens einfach ein schwarzes Loch im Gesicht. Etwas stumpfsinnig sind teilweise die Dialoge ausgefallen, in denen mühsam die bisherige und die nachfolgende Handlung erklärt wird. Das bremst immer wieder den Erzählschwung. Beinahe unerträglich ist der nervige Synthie-Pop, der sich auf der Tonspur mit übertrieben schmalziger Instrumental-Musik abwechselt.

Spannend wäre es, die Einflüsse von anderen und auf andere Filme aufzuschlüsseln. Die Abwehr von angreifenden Raumschiffen ist beispielsweise identisch mit den Szenen im Millennium Falcon aus «Star Wars» (1977). Da die Produktionszeit von diesem Anime sicher weniger als drei Jahre betragen hat, sind diese Szenen ziemlich sicher kopiert – sofern sie nicht schon in früheren Folgen von «Cyborg 009» (die erste Fernsehserie entstand 1968) vorgekommen sind. Schliesslich benutzte George Lucas die Handlung von Akira Kurosawas «The Hidden Fortress» als Vorlage für «Star Wars».

Der Operateur erlaubte sich dann noch, die kognitiven Fähigkeiten des Publikums zu testen. Er verwechselte nämlich die dritt- mit der zweitletzten Rolle. So flüchteten die Cyborgs zuerst aus der Festung von Zoa und machten sich auf die Verfolgung von Zoa, bevor sie in die Festung eingedrungen sind und die Geiseln befreiten. Als ich den ersten Erzählsprung bemerkt habe, freute ich mich schon, dass der Film zehn Minuten früher fertig wird. Dann wurde die fehlende Rolle aber eben doch noch nachgeliefert…

«Manga: Chinkoro heibei tamatebakog» von Noburô Ôfuji

Abwechslungsreich war der Einblick in das Werk von Noburô Ôfuji. Das Programm bestand aus acht Werken, die zwischen 1924 und 1956 entstanden sind. Die meisten davon zeichnen sich durch einen eigenen Stil aus. Gemäss Katalog war Ôfuji ein Pionier des japanischen Anime. Er benutzte meist Chigyogami, eine Art traditionelles japanisches Farbpapier, um Bewegungen darzustellen. Die Technik lässt sich mit Scherenschnitt-Animationen vergleichen und wurde von Ôfuji spätestens in den 50er-Jahren perfekt beherrscht.

Besonders eindrücklich wird die Technik in den beiden farbign Spätwerken «Whale» («Kujira», 1952) und «The Phantom Ship» («Yuureisen», 1956) eingesetzt. Poetisch und fantasievoll erzählt Ôfuji zwei Geschichten über Menschen auf dem Meer. Etwas zwiespältig ist «The Battle of the Malay Sea» («Mare-oki kaisen», 1943), die 26-minüte Verherrlichung eines japanisches Schlachterfolgs. Das Aussehen von zwei weiteren Kurzfilmen, «Black Cat’s Meow» («Kuro Nyago», 1929) und «Chinkoro Heibei’s Casket» («Manga: Chinkoro heibei tamatebakog», 1936), erinnerte mich allerdings zuerst an den Stil von Oswald the Lucky Rabbit von Walt Disney und Ub Iwerks und andere zetgenössische Trickfilme aus den USA. Ein Austausch von Einflüssen war also schon früh wirksam.

«Jangaru taitei»

«Kimba, the White Lion» («Jangaru taitei») habe ich mir angeschaut, weil dieser Film immer wieder in Verbindung mit «The Lion King» erwähnt wird. Ähnlichkeiten sind zwar vorhanden, aber die können die Animatoren von Disney genauso gut aus anderen Filmen geborgt haben. Erzählt wird die Geschichte von einem Löwenjungen, das auf einem Schiff geboren wird. Die Mutter erzählt Leo (und den Schiffsratten), wie sie gefangen und der Vater von Leo (der heisst nämlich gar nicht Kimba) ermordet wurde. Sie beauftragt Leo, in seine Heimat zurückzukehren und die friedliche Existenz im Tierreich zu gewährleisten. Löwen sorgen sich nämlich um die übrigen Tiere…

So schwimmt der kleine weisse Löwe an Land und muss in der Folge mehrere gefährliche Abenteuer bestehen, um seinen Platz als König der Tiere zu erlangen. Ein umspannender Handlungsbogen ist also vorhanden. Allerdings ist der Kinofilm mehrheitlich eine Kombination von verschiedenen Folgen der Fernsehserie. Dieser Ursprung lässt sich durch die episodenhafte Struktur erkennen, die den Erzählfluss bestimmt.

Wie «Cyborg 009: Legend of the Super Galaxy» ist «Kimba, the White Lion» ziemlich steif animiert. Die Erzählung ist sehr farbenfroh und fröhlich, zum Teil auch ein wenig hypernervös. Witzig ist beispielsweise die Episode, in der verschiedene Fische versuchen dem Löwenjungen das Schwimmen beizubringen. Jeder Fisch unterrichtet seine eigene Methode, ohne zu erkennen, dass Leo eben keine Flossen hat. Kindern bietet dieser Film ganz bestimmt eine Wunderwelt, für Erwachsene ist er hingegen teilweise ein wenig zu träge und didaktisch.

Leave a comment