Nostalgia is denial, denial of the painful present.
Früher war alles besser. Dieser Ansicht sind nicht nur alte Menschen. Nostalgiker können auch ziemlich jung sein. Wie die Hauptfigur in «Midnight on Paris» von Woody Allen («Whatever Works», «Vicky Cristina Barcelona»). In der charmanten Komödie lässt der emsige Regisseur und Drehbuchautor einen zweifelnden Schriftsteller in die 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreisen, wo er auf Künstler wie F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, Pablo Picasso, Gertrude Stein und Salvador Dalí trifft.
Der Amerikaner Gil Pender (Owen Wilson, «Hall Pass», «The Darjeeling Limited») verbringt gerade ein paar Tage mit seiner Verlobten Inez (Rachel McAdams, «Sherlock Holmes») und den zukünftigen Schwiegereltern in Paris. Der Drehbuchautor Gil schreibt gerade sein erstes Buch und fühlt sich von der Stimmung in der Stadt an der Seine besonders inspiriert. Von seiner Lieblingsstadt kann er stundenlang schwärmen. Etwas nüchterner betrachtet Inez die Stadt und freut sich besonders, als sie das befreundete Paar Paul (Michael Sheen) und Carol (Nina Arianda) treffen. Gemeinsam durchstreifen sie die Stadt.
Gil geht der aufgeblasene Besserwisser Paul aber bald auf die Nerven. Deshalb sondert er sich nach einem feuchtfröhlichen Abend von der Gruppe ab. Ordentlich angetrunken sitzt Gil um Mitternacht auf einer Treppe und wundert sich nicht schlecht, als plötzlich ein antiker Peugot vor ihm hält und er zum Einsteigen aufgefordert wird. Wenig später befindet er sich in einer Gesellschaft, in der alle Personen historische Kostüme tragen. Am Klavier spielt ein Pianist Lieder von Cole Porter und ein junges Paar stellt sich als Zelda (Alison Pill) und F. Scott Fitzgerald (Tom Hiddleston, «Thor») vor. Gil kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, als er später auch noch auf Ernest Hemingway (Corey Stoll) trifft, der ihm vorschlägt, dass Gertrude Stein (Kathy Bates) das Manuskript von Gil lesen könnte.
Obschon die Hauptfigur in «Midnight in Paris» eigentlich ein wenig in einer Lebenskrise steckt, nähert sich Woody Allen dem Thema von der humorvollen Seite. Schwerelos und verspielt inszeniert er eine verträumte Reise in die Vergangenheit und erlaubt sich besonders bezüglich des Verhaltens der historischen Figuren manche liebevoll schelmische Momente. Voller stolz spricht etwa Salvador Dalí (Adrien Brody) immer wieder seinen eigenen Namen aus und erzählt Gil stürmisch von seiner Vorliebe für Rhinozerosse. Und der leidenschaftliche Ernest Hemingway betont regelmässig, dass Texte in erster Linie ehrlich sein müssen.
Die Komödie von Allen weist durch die Struktur märchenhafte Züge auf. Jeweils um Mitternacht wird der junge Prinz von einem Gefährt abgeholt und kann auf diese Weise in die Vergangenheit zu seinen Idolen reisen. Die 20er-Jahre stellen für Gil Pender nämlich das Goldene Zeitalter dar. In dieser Epoche hätte er am liebsten gelebt. Daher erstaunt es auch nicht, dass die Hauptfigur in seinem Roman ein Antikwarenhändler ist. In seinen Ausflügen in die Vergangenheit trifft Gil aber nicht nur die von ihm bewunderten Künstler, sondern in der Gestalt der bezaubernden Adriana (Marion Cotillard, «Inception») auch noch ein Muse. Die Begegnungen in der Nacht führen einerseits dazu, dass er seinen Roman noch einmal überarbeitet. Andererseits wird die oberflächliche Beziehung zu seiner Verlobten auf eine Probe gestellt.
In «Midnight in Paris» lässt Allen aber nicht nur verschiedene Zeitalter, sondern vor allem auch äusserst unterschiedliche Wertvorstellungen aufeinanderprallen. Die Diskussionen über die entgegengesetzten politischen Überzeugungen von Gil und seinem erzkonservativen zukünftigen Schwiegervater sind eher beiläufig eingestreut. Viel zentraler sind die oftmals ebenso unvereinbaren Ansichten von Gil und Inez. Inez ist begeistert vom Pseudo-Expertentum von Paul, der bei jedem Kunstwerk mit seinem peinlichen Halbwissen angibt und sich auch nicht korrigieren lässt, wenn ihn die Fremdenführerin (Carla Bruni) darauf hinweist, dass seine Informationen falsch sind. Gil widersetzt sich in seinen nächtlichen Exkursionen diesem zweifelhaften Faktenzwang und öffnet seine Augen für die Möglichkeiten der Fantasie.
Fazit: In «Midnight in Paris» schildert Woody Allen vergnüglich und leichtfüssig, wie unmittelbar nahe und doch unerreichbar entfernt sich manchmal Vorstellung und Wahrheit sind.
Bewertung:
(Bilder: © Frenetic)