Dieser Film regt zu Recherchen an. Diese Reaktion wird durch Regisseur Clint Eastwood geradezu provoziert, denn nach dem Titel folgt gleich der kühne Hinweis «A true story». Ganz absolut. Nicht etwa «Based on» oder «Inspired by». Nein, ganz einfach eine «Wahre Geschichte» wird hier erzählt. Wahrheit im Film kann natürlich ganz unterschiedlich interpretiert werden. Eine kurze Nachforschung ergibt, dass sich Drehbuchautor J. Michael Straczynski meist an die Fakten hält.
Einige Abweichungen gibt es dennoch. Das ist aber auch nicht weiter verwunderlich, denn der geschilderte Fall ist so haarsträubend, dass er in seiner vollen Wahrhaftigkeit beinahe unglaublich ist. Das Herzstück der Handlung sind die Wineville Chicken Coop Murders. Eastwood und Straczynski nähern sich diesem abscheulichen Verbrechen allerdings sozusagen von hinten. Die Mutter eines entführten Kindes steht im Zentrum von «Changeling».
Die leitende Telefonistin Christine Collins (Angelina Jolie) lebt alleine mit ihrem Sohn Walter in Los Angeles. Als sie am 10. März 1928 spät von der Arbeit nach Hause kommt, ist Walter nicht im Haus und taucht auch nicht mehr auf. Die Nachforschungen der Polizei, verlaufen zunächst erfolglos. Fünf Monate später behauptet ein Junge in einem weit entfernten Bundesstaat, Walter Collings zu sein. Bei der Wiedervereinigung am Bahnhof stellt Christine aber entsetzt fest, dass es sich nicht um ihren Sohn handelt.
Die Polizei lässt sich dadurch nicht beirren. Sie stehe unter Schock und soll den Jungen doch einfach auf Probe mit nach Hause nehmen. Bald stellt sie aber unumstösslich fest, dass der Junge nicht Walter sein kann. Ihre Proteste beim zuständigen Hauptmann J. J. Jones (Jeffrey Donovan) bewirken einzig, dass sie in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird, wo für die Polizei besonders lästige Personen landen. Mittlerweile hat sich aber auch Pastor Gustav Briegleb (John Malkovich) der Sache angenommen.
So vergeht ein grosser Teil des Films, bevor die schreckliche Wahrheit ans Licht kommt. Walter Collins wurde vermutlich – wie auch viele anderen Jungen – vom psychopathischen Gordon Northcott (Jason Butler Harner) entführt und ermordet. Da die korrupte Polizei von Los Angeles allerdings hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt ist, wird dieser Verdacht beinahe unter den Teppich gekehrt. «Changeling» entpuppt sich schon vorher als heftige Anklage gegen die bedrohliche Willkür der Staatsgewalt. Zwei Vertreter davon – Hauptmann Jones und der Psychiater – sind so einseitig gezeichnet, dass sie als regelrechte Hassobjekte dienen.
Die Geschichte über Korruption und Gewalt ist aufwühlend. Eastwood und Straczynski setzen bei ihrer Umsetzung ganz auf die Emotionen. Sympathieträger ist dabei ganz klar die von Angelina Jolie gespielte Christine Collins, die gegen erbitterte Widerstände ihre Gerechtigkeit anstrebt. Ganz so glaubwürdig wie in ihrer letzten biografischen Rolle in «A Mighty Heart» tritt Jolie nicht auf. Das liegt möglicherweise auch daran, dass sie unter der dominanten Schminke beinahe verschwindet. Es zeigt sich auch, dass sie mit kleineren, ruhigeren Gesten bedeutend überzeugender wirkt als mit den teilweise fast so dick wie das Make-up aufgetragenen Gefühlsausbrüchen.
Die Gesamtwirkung wird durch die zu stark nach aussen gekehrten Auftritte von Jolie aber nur wenig beeinträchtigt. Dafür verdient die Crew von Eastwood für die phänomenale Rekreation der späten 20er- und frühen 30er-Jahren in Los Angeles ganz besonderes Lob. In diese Kulisse will sich einzig Jolie nicht so richtig einfügen. Da viele tragende Rollen mit wenig bekannten Gesichtern perfekt besetzt wurden, stellt sich die Frage, wieso nicht auch für die Hauptrolle eine authentischere Schauspielerin gesucht wurde. Der Film hätte auch durch eine weniger prominente Person in der Hauptrolle nichts von seiner Wirkung verloren, sondern eher noch gewonnen.
Wer sich noch auf die Spuren des Verbrechens begeben möchte, findet sicherlich einen passenden Einstieg im Wikipedia-Artikel «Wineville Chicken Coop Murders». Ein Porträt im «Presbyterian News Service» beleuchtet den echten Gustav Briegleb. Weitere Hinweise zu den Ereignissen lassen sich in den Kommentaren eines Beitrags im «Crimescene Blog» finden.
Fazit: «Changeling» ist ein mitreissendes Drama, das eindrücklich eine bewegte Epoche in der Geschichte von Los Angeles aufleben lässt.
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