Am gleichen Tag, an dem im November Barack Obama ins Weisse Haus gewählt wurde, stimmte die Bevölkerung des vermeintlich liberalen Kalifornien für ein Gesetz, dass die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren verbietet. Als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft werden Homosexuelle in den USA also immer noch nicht betrachtet. Aber immerhin können sie sich heute unerschrocken für ihre Rechte einsetzen, anstatt ausschliesslich gegen Diskriminierung zu kämpfen. Das war vor wenigen Jahrzehnten noch anders.
Ende der 70er-Jahre raste die fundamentalistische Christin Anita Bryant durch das Land, um Gesetze zu bekämpfen, die Homosexuelle vor Benachteiligung bei der Arbeit und der Wohnungssuche schützen sollten. In mehreren Regionen hatte sie Erfolg damit und liess sich als Retterin der amerikanischen Familie feiern. Als sie sich 1978 in Kalifornien zusammen mit John Briggs für ein Gesetz einsetzte, dass Schwule und Lesben die Arbeit als Lehrer verbieten sollte, setzte sich Harvey Milk an vorderster Front gegen die hetzerische Bryant ein. Seinen politischen Kampf schildert Gus van Sant in der mitreissenden Biografie «Milk».
Das Ende von «Milk» ist schon von Beginn weg bekannt. Nur gerade 20 Tage nachdem er die Ablehnung der menschenfeindlichen Gesetzes-Initiative feiern konnte, wurde Milk von einem verbitterten Amtskollegen erschossen. Die ersten Aufnahmen des Films zeigen Milk (Sean Penn) vor einem Tonbandgerät sitzen. Er nimmt eine Rede für den Fall auf, dass ein Kugel sein Hirn treffen sollte: «If a bullet should enter my brain, let that bullet destroy every closet door.» Sie solle jede Tür öffnen, hinter der sich ein Homosexueller verstecken muss.
Von diesem Punkt aus rollt der Film von Regisseur Gus van Sant und Drehbuchautor Dustin Lance Black die gleichsam erschütternde wie inspiriende Geschichte von Harvey Milk auf. In New York lebt Milk noch relativ versteckt sein Leben. Als er jedoch 1972 nach San Francisco in das von zahlreichen Homosexuellen bewohnte Stadtviertel The Castro umzieht, verwandelt er sich allmählich in einen Führer einer Bürgerrechtsbewegung für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben.
1977 wurde er nach drei erfolglosen Wahlkampagnen zum ersten bekennenden Schwulen, der in ein öffentliches Amt gewählt wurde. Als Mitglied des San Francisco Board of Supervisors, der gesetzgebenden Aufsichtsbehörde der Stadt, kämpfte er zuerst für ein Gesetz gegen die Diskriminierung aufgrund sexueller Ausrichtung. Für Aufsehen in den Medien sorgte er nebenbei aber auch mit eher ungewöhnlichen Gesetzesvorstössen, wie etwa der Büssung von Personen, welche die Exkremente ihrer Hunde nicht wegräumen.
Milk legte sich in seiner Karriere nicht nur mit engstirnigen Gegnern an, sondern auch mit mächtigen Vertretern der eigenen Anliegen an. Sie befürchteten, dass der sichtbare Kampf von Milk ihrer Sache mehr schaden als nützen könnte. Daneben drückte er in seinen öffentlichen Reden die Hoffnungen und Ängste der Gesinnungs- und Leidensgenossen aus: «I know you cannot live on hope alone, but without it, life is not worth living.» Im Kampf gegen die scheinheilige Herabwürdigung von Schwulen und Lesben bleibt Milk durch seinen Einsatz bis heute eine Ikone.
Den erschütternden Lebenslauf von Harvey Milk zeichnet van Sant in all seinen Facetten nach. Formal und erzählerisch ist «Milk» weniger gewagt als die eher avantgardistischen Werke von van Sant. Hier steht für einmal ganz die Botschaft und nicht die Umsetzung im Zentrum. Wenn Milk eine Rede hält, dann verweilt die Kamera ruhig auf seinem Gesicht. Van Sant fokussiert aber nicht lediglich auf den politischen Aspekt, sondern lässt die Privatperson Milk aufleben, der durch seine persönlichen Erfahrungen zum Anführer einer Bewegung wird. Da Milk eine äusserst unbekümmerte und aufgeschlossene Person war, kommt dabei auch der Humor nicht zu kurz.
Die einfühlsame Herangehensweise sorgt dafür, dass die Biografie von der ersten bis zur letzen Minute fesselt. Durch die geschickte Kombination mit Archivmaterial lassen sich die bewegten 70er-Jahre mitsamt ihrer aufgewühlten Stimmung nachfühlen. (Anita Bryant taucht beispielsweise nur in Fernsehaufahmen auf.) Zur bewegenden Wirkung trägt letztlich nicht nur die tragische Handlung bei, auch die charismatischen Schauspieler leisten ihren Beitrag, allen voran der hypnotisierende Sean Penn.
Fazit: «Milk» ist ein vielschichtiges, überwältigend berührendes Drama, das unaufdringlich für Toleranz und Menschenrechte einsteht.
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