Nichts ist so, wie es scheint.
Die angenehmste Überraschung am 5. Zurich Film Festival war das erfrischend unterhaltsame Schweizer Drama «Der Fürsorger», das am Mittwoch im Deutschsprachigem Spielfilmwettbewerb seine Weltpremiere feierte. Regisseur Lutz Konermann erzählt darin von einem charmanten Betrüger, der von Roeland Wiesnekker («Strähl», «Auf der Strecke») mitreissend verkörpert wird. Die schwungvoll inszenierte Lügengeschichte hat das Potenzial zum Publikumshit.
Als ein Dorfpolizist vor der Tür des Chalets von Dr. Lenz (Wiesnekker) auftaucht, ahnt der gutmütige Mann bereits schlimmes. In Wirklichkeit heisst er nämlich Hans-Peter Stalder und ist auf der Flucht vor der Justiz. In kleinen Dorf Wengnau hat er als Fürsorger eine Kundschaft von Kleinanlegern aufgebaut, denen er unvorstellbare Rendite auf ihre Investitionen versprach. Als der Schwindel aufflog, landete er im Gefängnis. Aus dem ist Stalder aber wieder ausgebrochen.
Nun landet Stalder als Dr. Lenz auf dem Polizeiposten und versucht die Flucht nach vorne. Er gesteht seine wahre Identität und weiht die gebannten Zuhörer in seine verblüffende Geschichte ein. Von der ersten Liebe in der Heilsarmee über die Liebschaften mit verschiedenen Frauen bis hin zur Geburt des zweiten Kindes mit seiner gegenwärtigen Freundin berichtet Stalder von den Verlockungen des Glücks und des schnellen Geldes.
Lutz Konermann und sein Co-Drehbuchautor Felix Benesch erzählen in «Der Fürsorger» eine auf wahre Ereignisse basierende Geschichte. In den 70er- und 80er-Jahren trieb der Millionenbetrüger Hans-Peter Streit sein Unwesen in Lengnau und Adelboden. Nachdem er ins Gefängnis kam, verfasste er ein Buch über sein bewegtes Leben. Daraus haben Konermann und Benesch eine eigenwillige Geschichte in urschweizerischem Umfeld gebastelt. Ihre Hauptfigur tritt als Vertrauensperson auf, die sich von den Träumen seiner geldsüchtigen Mitbürger anstecken lässt.
Konermann sammelte bereits reichlich Erfahrung im Fernsehbereich und inszenierte seit den 80er-Jahren etliche Fernsehfilme («Lieber Brad», «Prager Botschaft») und Episoden von Fernsehserien («Marienhof», «Lindenstrasse»). Er erzählt die Geschichte von «Der Fürsorger» relativ schnörkellos mit viel Schwung und einem sicheren Auge für die idyllischen Landschaften und die malerische Architektur der Ortschaften. Es gelingt ihm auch, ein lockeres Gleichgewicht zwischen Tragik und Humor herzustellen.
Etwas gar nervös ist manchmal der sprunghafte Wechsel zwischen den verschiedenen Ebenen der Geschichte. Doch irgendwie passt diese Methode auch zu der wild fabulierenden Hauptfigur, der sich über die Erzählstimme an seine Tochter wendet und dabei schildert, wie er den Beamten auf dem Polizeiposten aus seiner Vergangenheit berichtet und dabei zwischendurch auch ein wenig schwindelt. Vielleicht ist diese Struktur ein wenig zu verschachtelt, unübersichtlich ist sie trotzdem nicht, denn Stalder ist als sicherer Begleiter stets zur Seite.
Zur Identifikation mit der Hauptfigur trägt die Besetzung bei. Roeland Wiesnekker spielt den Betrüger als unwiderstehlichen Charmeur und Schlawiner, der auf der Suche nach Zuneigung und Wärme unabsichtlich eine Lüge erfindet, die ihm bald über den Kopf wächst. Seine Ausstrahlung ëntfaltet nicht nur auf einfältige Mitbürger ihre Wirkung, sondern auch auf das weibliche Geschlecht und das Publikum. Von seiner forschen Kühnheit wird vor allem selbst häufig überfordert. Die Komplizenschaft seiner Opfer wird am Ende aufgedeckt: Wer sich durch so eine Schelmengeschichte hinters Licht führen liess, wurde zuerst durch eigene Gier geblendet.
Wiesnekker steht im Zentrum, erhält aber tatkräftige Unterstützung von einem illustren Ensemble, das zahlreiche vertraute Gesichter versammelt. Katharina Wackernagel, Johanna Bantzer, Claude De Demo und Andrea Guyer glänzen als weibliche Verehrerinnen. Leonardo Nigro sorgt in der Rolle des Komplizen Giorgio für Lacher. Er wundert sich über die Anziehungskraft von Stalder auf das andere Geschlecht und würde nur gerne wissen, wie Stalder das anstellt. Die Erklärung ist beinahe gleich simpel wie der Trick mit dem Geld.
Fazit: «Der Fürsorger» ist ein ebenso kurzweiliges wie aufschlussreiches Drama, das mit viel Herz und Humor begeistert.
Bewertung:
(Bilder: ©Filmcoopi)