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Wenn keine zwei Jahre nach «Tandoori Love» schon wieder ein Schweizer Film in die Kinos kommt, in dem in Kombination mit Bollywood-Einlagen eine Liebesgeschichte erzählt wird, dann muss schon fast von einem Trend gesprochen werden. Dennoch lässt sich bezweifeln, dass sich bald ein eigenes Genre von Schweizer Bollywood-Liebeskomödien bildet. Ein wenig Übung könnten die Filmemacher bei der Inszenierung aber durchaus noch gebrauchen. «Madly in Love» von Regisseurin Anna Luif ist zwar charmant, aber verströmt nicht ganz so viel Lebensfreude, wie das Thema vermuten lassen würde.
Devan (Muraleetharan Sandrasegaram), ein junger Tamile, ist mit 14 Jahren aus Sri Lanka zu seinem Vater Raja (Anton Punrajah) in die Schweiz gezogen. Devan hält seinen Vater und die tamilische Tradition hoch. Seine zukünftige Braut Nisha (Sugeetha Srividdunupathy) ist bereits ausgewählt und schon bald unterwegs in die Schweiz. Doch kurz vor der traditionell arrangierten Hochzeit verliebt sich Devan unsterblich in seine neue Mitarbeiterin Leo (Laura Tonke). So ist er hin- und hergerissen zwischen wahrer und versprochener Liebe.
In der Folge werden die Differenzen zwischen Wünschen und Tradition analysiert. Spannungen gibt es an allen möglichen Orten. Devan erlaubt der alleinstehenden Mutter Leo, dass ihr Sohn Luigi (Yannick Fischer) in der tamilischen Fussballmannschaft als Torhüter mitspielt. Das sehen die anderen Väter gar nicht gerne. Derweil stösst auch Siva (Murali Perumal), der Cousin von Devan, auf kein Verständnis bei seinem Vater, weil Siva einerseits nie in den Tempel geht, und sich andererseits als Mundart-Rapper von den eigenen Gebräuchen entfernt. Und je näher sich Devan und die ahnungslose Leo kommen, umso näher rückt auch der Termin der Hochzeit.
Wieso dreht eine Schweizer Regisseurin einen Film über Tamilen in der Schweiz? Anna Luif erklärt sich ihr Interesse für dieses Thema mit der eigenen Biografie. Ihre Eltern und Grosseltern sind 1956 als politische Flüchtlinge aus Ungarn in die Schweiz gekommen: «Die Konflikte, die durch eine Entwurzelung entstehen können, kannte ich aus dem eigenen Elternhaus.» Die fehlende kulturelle Zugehörigkeit habe sie jahrelang beschäftigt. In ihrem zweiten Spielfilm nach «Little Girl Blue» zeigt Luif die Lage der Tamilen in der Schweiz ziemlich genau so, wie sie im umfassenden, knapp 160-seitigen Bericht (PDF, 2,3 MB) geschildert wird, die das Bundesamt für Migration im November 2007 veröffentlicht hat.
Demnach leben in der Schweiz 42’000 Personen aus Sri Lanka (einschliesslich eingebürgerter Srilanker). 90 bis 95 Prozent von ihnen sind Tamilen. Wie gleich im Vorwort des Berichts bemerkt wird, sind die Tamilen in der Schweizer Bevölkerung wenig bekannt, «trotz ihrer grossen Zahl und obwohl sie bereits seit mehr als zwanzig Jahren in der Schweiz wohnen.» Die Tamilen sind zwar durchaus sichtbar, etwa als geschätzte Arbeitskräfte im Gastgewerbe, in der Pflege, Betreuung und Reinigung oder wenn sie in ihren prachtvollen Kleidern einen Tempel wie denjenigen in Adliswil besuchen. Dennoch leben sie in einer eigentlichen Parallelgesellschaft.
Die relativ gute strukturelle Integration der Tamilen stehe im Kontrast zu ihrer begrenzten gesellschaftlichen und kulturellen Einbindung, die besonders von den Vertretern der ersten Generation durchaus gewollt sei. Der Wunsch, die Muttersprache und die Traditionen zu bewahren und an die im Exil geborenen Generationen weiterzugeben, gehe einher mit einem gesellschaftlichen Leben, in dessen Mittelpunkt Aktivitäten, Ereignisse und Feste in der tamilischen Gemeinschaft stehen. Die Tatsache, dass selbst in der zweiten Generation nur wenige Mischehen geschlossen werden, sei ein weiteres Indiz dafür, dass soziale Beziehungen vor allem innerhalb der eigenen Gruppe gesucht werden.
Diese Situation bildet den Hintergrund für die mit Tanzszenen angereicherte Liebesgeschichte von Anna Luif. Die Erzählung von einem in der Fremde aufgewachsenen Kind, dass sich gegen die Eltern und ihre Traditionen auflehnt, ist nicht gerade sonderlich neu. In Filmen aus Grossbritannien sind solche Geschichten vor allem im Umfeld von Einwanderern aus Pakistan und Indien angesiedelt, wie in «East Is East», «Ae Fond Kiss» oder in einem leicht anderen Zusammenhang in «Bend it Like Beckham». Das Drehbuch von «Madly in Love» treibt die Handlung nicht gerade besonders einfallsreich diese bekannten Muster benutzend voran. Auch die Dialoge sind nicht gerade überragend. Vielmehr sind die Figuren häufig ein wenig sprachlos. Dadurch wird zumindest ein gewisser Grad an Realismus erzeugt.
Besonders wirklichkeitsnah soll «Madly in Love» aber eigentlich sowieso nicht sein. Vielmehr wird immer wieder in die Fantasie der Hauptfiguren entführt. Wenn sich Devan und Leo plötzlich im Restaurant umtanzen, dann sieht das Publikum in die Gedanken des verliebten Tamilen. Solche ausgelassenen Tanzszenen, welche die Emotionen der Figuren ausdrücken sollen, werden aber eher spärlich eingesetzt und lassen sich an einer Hand abzählen. Dabei hätte der Film durchaus ein wenig mehr unbändige Energie verdient. Immerhin vermögen die Darsteller durch ihre Ausstrahlung ein wenig den fehlenden Mut der Filmemacher auszugleichen. Die Geschichte verfügt zudem über ausreichend Charme, um die leichten Schwächen zu überdecken.
Fazit: «Madly in Love» ist eine warmherzige Liebesgeschichte, die sich nicht ganz ans Limit und schon gar nicht darüber hinaus wagt.
Bewertung:
(Bilder: © Filmcoopi)