True inspiration is impossible to fake.
Im Traum ist alles Wirklichkeit. In der Wirklichkeit ist alles ein Traum. Die Grenzen zwischen Realität und Fantasy werden von Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan («The Dark Knight») in seinem neuen Meisterwerk «Inception» verwischt. Der überwältigende Film ist ein packender Thriller und gleichzeitig eine inspirierende Meditation über die Wahrnehmung von verschiedenen Bewusstseinszuständen. Gleich auf mehreren Ebenen entfaltet diese Projektion ihre Wirkung.
Oberflächlich betrachtet ist «Inception» ein rasanter Thriller, in dem der Dieb Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) in die Träume von Menschen eindringt, um Geheimnisse zu entwenden. Erwischt wird er dabei aber vom japanischen Industriellen Saito (Ken Watanabe, «Letters from Iwo Jima»). Der verlangt von Cobb, dass er Robert Fischer Jr. (Cillian Murphy, «Sunshine»), dem Erben einer Konkurrenz-Firma, den Gedanken einpflanzt, sein Imperium zu zerschlagen. Mit Hilfe seines Assistenten Arthur (Joseph Gordon-Levitt, «(500) Days of Summer»), der für die Architektur in den Träumen zuständigen Ariadne (Ellen Page, «Juno»), dem Fälscher Eames (Tom Hardy) und dem Chemiker Yusuf (Dileep Rao, «Avatar») setzt Cobb das Unterfangen in die Realität um.
Doch dahinter verbergen sich zahlreiche Ebenen der Interpretation. Schon sehr früh zeichnet sich ab, dass in diesen Träumen seltsame Zustände herrschen. Einerseits sind die Projektionen des Unterbewusstseins den Eindringlingen gegenüber misstrauisch. Andererseits taucht die Vergangenheit von Cobb in der Form seiner verstorbenen Frau Mal (Marion Cotillard, «Public Enemies») in den Träumen auf. Er wird verdächtigt, sie getötet zu haben, und kann daher nicht mehr zu seinen Kindern in den USA zurückkehren. So mühelos sich Cobb durch den Rest der Welt bewegt (Kyoto, Paris, Mombasa), so beschwerlich stellt sich die Reise in das Gehirn des Opfers heraus.
«Inception» bietet sicherlich nicht ganz so leichte Kost wie andere Sommer-Blockbuster. Trotzdem ist das virtuose Werk mit der eindrücklichen Besetzung und der makellosen Inszenierung nicht allzu schwer verdaulich oder auch so ernsthaft, wie es zunächst den Anschein macht. Sonderlich schwierig zu verstehen ist es auch nicht wirklich. So drückt sich die Funktion einiger Figuren bereits durch ihren Namen aus. Ariadne beispielsweise war in der griechischen Mythologie die Tochter von König Minos auf Kreta und half Theseus den Weg aus dem Labyrinth zu finden. In «Inception» ist sie für die Konstruktion der Umgebungen in den Träumen zuständig und darf oder muss dabei sogar paradoxe Architektur wie eine endlose Treppe oder die Verformung des Geländes einsetzen.
Primär handelt «Inception» von den Wechseln zwischen den verschiedenen Wirklichkeiten. Bis in die dritte Stufe des Traumes und sogar noch weiter dringen die Diebe in die Gedanken ein. Eine Verlangsamung der Zeit mit ungefähr einem Faktor 10 sorgt dafür, dass für jede Minute im Traum etwa 10 Minuten im Traum im Traum zur Verfügung stehen. Wenn also ein Auto für ein paar Sekunden in der Luft schwebt, dann herrscht eine Stufe weiter unten für einige Minuten Schwerelosigkeit. Wer da noch den Überblick behält, hat wirklich besondere Fähigkeiten. Mit allen Mitteln versuchen nämlich die Diebe ihr Opfer, das in der Abwehr von Eindringlingen geübt ist, zu täuschen.
Doch hinter dieser Fassade des Diebstahls webt Christopher Nolan ein ebenso vielfältiges Netz von menschlichen Emotionen. Wie der Kreisel von Cobb, der ihn als Totem an die Beschaffenheit des Traums erinnern soll, dreht sich die Handlung immer schneller um die Trauer, die Cobb über den Verlust seiner Frau verspürt. Cobb spricht immer wieder über Reue und Schuld und drängt darauf, endlich nach Hause zurückzukehren. Dazu mahnt auch sein Vater (Michael Caine): «Come back to reality, Dom!» Dazwischen erklingt regelmässig «Non je ne regrette rien» von Edith Piaf und lässt erkennen, dass dies auch eine Geschichte des Los- und Fallenlassens ist.
Die Handlung vom Traum im Traum erinnert in erster Linie einmal an «Abre los ojos» von Alejandro Amenábar. Durch die Auseinandersetzung mit der Konstruktion einer alternativen Wirklichkeit führt der Gedanke auch schnell einmal zu «The Matrix». Diese Verbindung kommt sicher auch durch die Szene zustande, in der Joseph Gordon-Levitt in der Schwerelosigkeit seine Gegner bekämpfen muss. Doch Nolan wählt einen eigenen Ansatz und verdichtet die Struktur des Films in der bereits aus «The Dark Knight» gewohnten Manier. Da bleibt kaum Raum, um Luft zu holen. Wally Pfister sorgt für die eindringlichen Aufnahmen, und Hans Zimmer («Sherlock Holmes») für die teilweise beklemmende musikalische Untermalung.
«Inception» erweist sich auch als ideales Begleitstück zum anderen Film, in dem Leonardo DiCaprio dieses Jahr schon brilliert hat. Wie in «Shutter Island» wird die Wirklichkeit hinterfragt und die Hauptfigur bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Wahn und Wahnsinn. Beide Figuren spielt DiCaprio mit stürmischer Angespanntheit. Durch diese beiden Darbietungen ergibt sich eine ähnliche Ausgangslage wie schon 2006. Damals war DiCaprio mit «The Departed» und «Blood Diamond» in den Kinos und erhielt schliesslich eine Oscar-Nominationen. Auch dieses Jahr verfügt DiCaprio jetzt über zwei Möglichkeiten, für einen Academy Award nominiert zu werden.
Fazit: «Inception» ist ein intensives Erlebnis, das sich auf mindestens ebenso vielen Ebenen geniessen lässt, wie von den Figuren im Film durchforscht werden.
Bewertung:
(Bilder: © 2010 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.)
Weil ich am Wochenende in Köln war, fiel mir gerade wieder ein, dass das kölsche Dommkopp (= Dom Cobb) auf Hochdeutsch Dummkopf heißt. Ob das so beabsichtig war?!