«Geschichte der Nacht» von Clemens Klopfenstein

«Geschichte der Nacht»

Nachts sind alle Katzen grau. Auch Gebäude und Menschen werden sich zu später Stunde immer ähnlicher. Solche Eindrücke der Dämmerung und Dunkelheit hat Clemens Klopfenstein in seinem Experimentalfilm «Geschichte der Nacht» auf Reisen durch 150 Nächte in 15 Ländern Europas eingefangen, zwischen Dublin und Istanbul, Rom und Helsinki. Zusammengekommen sind Stimmungen voller Melancholie und Einsamkeit. Wenn dann seltsame Gestalten über einen verschneiten Platz schweben, kommt auch ein wenig Heimatgefühl auf.

«Geschichte der Nacht»Seiner «Geschichte der Nacht» hat Klopfenstein ein Zitat aus «Ulysses» von James Joyce vorangestellt, dass die ambivalente Stimmung ziemlich exakt trifft: «Häuser, Reihen von Häusern, Strassen, Meilen von Pflaster, aufgehäufte Ziegelsteine, Steine. Einmal gehörts dem, dann dem. Der Besitzer stirbt nie, sagt man. Anderer tritt an seine Stelle. Dicke Steine bleiben übrig, runde Türme, Pyramiden auf Sand, Sklaven, chinesische Mauer, Babylon. Eintagshäuser aus Luft gebaut, Schutz für die Nacht … Ich hasse diese Stunde. Habe ein Gefühl, als wenn man mich gefressen und wieder ausgekotzt hätte.»

«Die Geschichte der Nacht» und die beiden zusätzlich (sozusagen als Bonusmaterial) auf der DVD enthaltenen Filme «Transes» und «Das Schlesische Tor» (die Nacht- und Trance-Trilogie) bieten zerbrechliche Ausflüge für Nachtschwärmer und Nostalgiker. Die Werke führen nämlich nicht nur durch die Nacht, sie transportieren die Betrachter auch zurück in eine Zeit, in der Experimentalfilme noch fester Bestandteil der Filmlandschaft waren. Besonders betörend sind dabei die Kamerafahrten in Autos und Zügen aus «Transes». Das Rauschen des Windes und das Rattern der Räder sind Bestandteil der fast schon einschläfernden Tonspur.

«Geschichte der Nacht»Über seine Absichten äussert sich Klopfenstein im Beiheft: «Ich will in dem Film die Physiognomie einer europäischen Stadt realisieren, die es in natura nicht gibt, sie wird aus verschiedenen Teilen verschiedener Städte bestehen und damit eine grosse geographische Weiträumigkeit erhalten: (…) Die wenigen Menschen, die in den totalen Bildern noch erscheinen, dienen dem Zuschauer als Brücke. So wie die Figuren im Filmbild wird der Zuschauer im Film stehen: übernächtigt, irritiert, aber auch durch die leere Stille der Städte beruhigt.» Besser kann ich es auch nicht formulieren. Das Beiheft zur irritierend schönen DVD lässt sich auf der Website von Klopfenstein herunterladen.

Die Bildqualität der DVD ist scheinbar dem Ausgangsmaterial entsprechend sehr gut gelungen. So genau lässt sich das aber nicht beurteilen. Wie Klopfenstein ausführt, habe er mit 400-ASA-Filmen bei offener Blende gefilmt und das belichtete Material bei zwei- bis vierfach verlängerter Entwicklungszeit auf 800 bis 1600 ASA «stossen» lassen. Dadurch hat sein Film eine starke Körnigkeit erhalten. Dieses Rauschen entfaltet auch auf der DVD seine hypnotische Wirkung. Dabei lässt sich nur noch schwer erkennen, ob die vereinzelten Bildunreinheiten durch die besondere Behandlung oder durch die Abnutzung des Filmmaterials entstanden sind. Berauschend ist das Erlebnis aber so oder so.

Film: 5 Sterne
Bild-/Tonqualität: 4 Sterne
Bonusmaterial: 5 Sterne

2 comments

  1. man kann sich nicht mehr davon befreien: man wird gefasst und mit Kraft in einen Art Traum-Reise mitgezogen und der Faszination der “absoluten Bild-Sprache” unterzogen, ähnlich wie in einer Zen-Initiation, wie in manchen Avangarde-Streifen aus der Zeit des deutschen Expressionismus und des französischen Surrealismus der zwanziger und Anfangs dreissiger Jahre. Ein must für jeder Filmliebhaber..

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