«Defiance» von Edward Zwick

«Defiance»

Hollywood hat die absolute Wahrheit für sich entdeckt. Nach «Changeling» kommt mit «Defiance» schon wieder ein Film in die Kinos, der sich gleich zu Beginn ganz kühn als «Eine wahre Geschichte» deklariert. Früher wurde der Anspruch von historischen Filmen auf Faktentreue für gewöhnlich durch den Zusatz «basierend auf» ein wenig relativiert. Das Kriegsdrama «Defiance» enthält zwar zahlreiche Wahrheiten, scheitert aber letztlich an vielen zu fiktiven Elementen.

Die in «Defiance» geschilderte Wahrheit handelt vom Überlebenskampf der Bielski-Partisanen, einer der bedeutendsten jüdischen Widerstandsgruppen im Zweiten Weltkrieg. Nachdem die Deutschen am 22. Juni 1941 im westlichen Weissrussland einmarschiert waren, töteten die deutschen Behörden im Bezirk Nawahradak zehntausende Juden.

Nach der Ermordung der Eltern und zweier Brüder, flüchteten die überlebenden Brüder Tuvia, Asael und Zus Bielski in die Wälder von Nabiloki, wo sie den Kern einer Partisanengruppe gründeten, die zunächst aus etwa 30 Familienmitgliedern und Freunden bestand. Zum Anführer wurde Tuvia bestimmt, der zuvor der zionistischen Jugendbewegung angehört und in der polnischen Armee gedient hatte. Er betrachtete die Rettung von möglichst vielen Juden als seine Hauptaufgabe. Durch Flüchlinge aus den Ghettos der umliegenden Städte und Dörfer wuchs die Gruppe bis im Sommer 1943 auf ungefähr 700 Mitglieder an.

Unter widrigen Umständen bildete die Bielski-Partisanen eine Gemeinschaft, die eine Mühle, eine Bäckerei, eine Wäscherei, eine Krankenstation, eine Schule, eine Synagoge und sogar ein Gefängnis betrieben. Da die Bielski-Partisanen nur über eine kleine Einheit mit Kämpfern verfügte und die Versorgung der Mitglieder über den bewaffneten Kampf gegen die Deutschen stellten, verbündeten sie sich mit einer Gruppe von sowjetischen Partisanen. Als Gegenleistung für den Schutz waren die Schuster, Schneider, Tischler und anderen Handwerker in den Werkstätten der Bielski-Gruppe um die Instandhaltung der Ausrüstung der Sowjets besorgt. Es wird geschätzt, dass über 1200 Juden den Krieg dank dem Schutz der Bielski-Gruppe überlebt haben.

Nach dem Krieg wanderten Tuvia und Zus zuerst nach Palästina aus und kämpften 1948 in der israelischen Armee. Später wanderten sie in die USA aus. Wie auch viele andere Überlebende der Bielski-Partisanen wurde Tuvia von der Wissenschaftlerin Nechama Tec für ihr Sachbuch «Defiance» befragt, das nun Filmemacher Edward Zwick («Glory») als Vorlage für sein Kriegsdrama mit Daniel Craig in der Hauptrolle diente.

Auf den Hochglanz-Kitsch seiner beiden vorhergehenden Werke «The Last Samurai» und «Blood Diamond» verzichtet Zwick in «Defiance» weitgehend. Der Schmutz und das Elend von den Partisanen im Wald färbt sich auch auf die Gestaltung der Bilder ab. Aber obschon die meist schlichte Kameraarbeit und auch die Ausstattung höchste Authentizität versprechen, so erfüllt die Handlung weitaus weniger den durch die Filmemacher selbst formulierten Anspruch von absoluter Wahrheit.

Liev Schreiber und Daniel Craig in «Defiance»Die Bielski-Brüder werden in erster Linie als Schmuggler und somit als Aussenseiter in der jüdischen Gemeinschaft dargestellt. Unterschlagen wird dabei die Vergangenheit von Tuvia als Zionist und Veteran. Solche Aussparungen dienen Zwick und seinem Co-Drehbuchautor Clayton Frohman dazu, die gewünschten Themen von Toleranz und Klassenkampf innerhalb der Partisanengruppe in den Vordergrund zu rücken. Zur Hervorhebung dient zusätzlich ein übertrieben ausgefochtener Bruderkampf zwischen Tuvia und Zus.

Unter der dramatischen Überhöhung jedes einzelnen Vorfalls, wie etwa der unerwünschten Schwangerschaft einer Frau, leidet vor allem die Authentizität. Besonders die Kampfhandlung zum Schluss folgt den schlimmsten Konventionen des Hollywood-Kinos. In letzter Sekunde folgt die Rettung durch und die Versöhnung der Brüder. An solchen Stellen zerstört das dramatische Konstrukt vollständig die Glaubwürdigkeit. Ansonsten ist jede Szene, jeder Konflikt auf Zuspitzung der moralischen Fragen ausgelegt. Ein perfekter Film für den Philosophie-Unterricht, aber eben nur eine mittelmässige Aufarbeitung der Geschichte.

Gelungen sind die kontrastreich dargestellten moralischen Fragen durchaus. Sollen sich die Brüder an den Mördern ihrer Eltern rächen oder in erster Linie so viele Juden wie möglich retten? Rechtfertigt die Verfolgung der Juden, dass sich die Partisanen in einer Szene wie eine wilde Meute auf einen deutschen Soldaten stürzen? Die schonungslose Ehrlichkeit, mit der die Filmemacher auch unschöne Aspekte des Widerstandskampfes schildern, ist ihnen zumindest hoch anzurechnen – auch wenn dadurch der Gesamteindruck nur gering verbessert wird.

Da der Film selbst den Anspruch stellt, eine wahre Geschichte zu erzählen, muss die Umsetzung trotz flüssigem Erzählfluss und überzeugenden Leistungen der Schauspieler als gescheitert beurteilt werden. Einige übergeordnete Wahrheiten reichen da nicht aus. In diesem Zusammenhang ist es ziemlich überraschend, das Zwick im Vorwort zur jüngsten Ausgabe von «Defiance» selber erklärt, das ein fiktiver Film, der vorgibt eine «wahre Geschichte» zu erzählen, ein Widerspruch in sich ist, «wenn nicht sogar etwas viel Schlimmeres.» Er führt aus, dass Filme eine lange Zeitdauer auf zwei Stunden reduzieren und chaotische, komplexe, sogar zufällige Ereignisse in ein ordentliche Form fügen müssen. Diese Äusserungen lassen vermuten, dass der Hinweis «A true story» nicht unbedingt auf dem Mist von Zwick gewachsen ist.

Es ist lobenswert, dass sich die Filmemacher diesem Kapitel der Geschichte angenommen haben, ein wenig mehr Zurückhaltung bei der Umsetzung wäre jedoch angebracht gewesen. So kann «Defiance» lediglich als Einstieg in die wirklich wahre Geschichte verstanden werden. Daher ist auch der Hinweis in Presseunterlagen verständlich, wonach der Film das einseitige Bild von Juden als Opfer, die im Dritten Reich resigniert in den Tod gingen, korrigieren soll. Das hat freilich auch schon das Fernsehdrama «Uprising» (2001) von Jon Avnet bewerkstelligt.

Die solide Fernsehproduktion «Uprising» schildert den Judenaufstand im Warschauer Ghetto. Am 18. Januar 1943 begann der bewaffnete Widerstand der im Judenbezirk verbliebenen Bevölkerung, die sich über einen Monat lang gegen die Wehrmacht behaupten konnte. Auf der DVD sind zwei Dokumentationen über den historischen Hintergrund und die Dreharbeiten auf einer Zusatzscheibe enthalten.  Eindrucksvoll sind weniger die plappernden Schauspieler, sondern vielmehr die Berichte von drei überlebenden Widerstandskämpfern.

Fazit: «Defiance» ist ein ambitioniertes Kriegsdrama, das ein bedeutendes Kapitel des Zweiten Weltkriegs ein wenig zu angestrengt erzählt.

Bewertung: 3 Sterne

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