So ein Filmfestival bietet immer ideale Gelegenheit, um älteren und jüngeren Talenten aus der Trickfilmwelt zu begegnen. Die hier in Lissabon am Monstra anwesende Delegation aus der Schweiz besteht aus beiden. George Schwizgebel gehört sicher zu den ersteren, die Brüder Guillaume sind irgendwo dazwischen, und die Trickfilmerinnen von der Hochschule Luzern haben ihre Karriere noch vor sich. Am Donnerstag habe ich mich mit ihnen unterhalten.
In der Schweiz schleicht sich der Frühling momentan erst langsam an, da steigen die Temperaturen in Lissabon bereits auf angenehme 26 Grad. Claudia Röthlin, Franziska Meyer, Irmgard Walthert und Anja Kofmel geniessen derzeit diese frühsommerlichen Tage in der Hauptstadt von Portugal. Die vier jungen Frauen haben letztes Jahr ihre Ausbildung an der Abteilung Animation der Hochschule Luzern (HSLU) abgeschlossen. Diese Woche treten sie nun mit ihren Werken im Wettbewerb der Studentenfilme des Animationsfilmfestivals Monstra gegeneinander an.
Bis vor wenigen Jahren mussten sich angehende Schweizer Trickfilmer ihr Können oftmals noch selber aneignen. In den letzten paar Jahren hat sich die Abteilung Animation der HSLU, dem einzigen Lehrgang in der Schweiz, der sich ausschliesslich auf das Handwerk von Trickfilmern konzentriert, als eigentliche Talentschmiede für den Schweizer Trickfilm etabliert. Für Duscha Kistler, die künstlerische Leiterin des Animationsfilmfestivals Fantoche in Baden, ist klar, dass diese Ausbildung in mehrerer Hinsicht eine Bereicherung ist: «Die Studenten bringen frischen Wind in die Schweizer Animationsfilmszene». Den ersten Nutzen sieht sie darin, dass mehr Filme entstehen und die Szene dadurch laufend vergrössert wird. Ausserdem tritt der Schweizer Animationsfilm so auch vermehrt auf internationalen Festivals in Erscheinung.
Die Abgänger der Abteilung Animation der HSLU sind sie mit ihren Diplomfilmen momentan tatsächlich auf der halben Welt unterwegs. Rom, Ljubljana, Ankara, Dresden, Stuttgart und nun eben Lissabon sind nur einige der Orte, an denen Festivals ihre Trickfilme zeigen möchten. Für die vier in Lissabon anwesenden Nachwuchskünstlerinnen sind solche Einladungen bedeutend mehr als nur eine Gelegenheit, in eine fremde Stadt zu reisen.
Hier knüpfen sie Kontakte mit Filmschaffenden aus anderen Ländern, tauschen sich aus, lassen sich inspirieren und können vor allem ihre Filme einem Publikum zeigen. Wichtig sind dann besonders die Reaktionen auf die Filme. Überraschende Reaktionen gab es bisher nicht. Franziska stört sich auch nicht daran, wenn ihr Film als «ekelhaft» bezeichnet wird: «Das habe ich fast schon wieder Kompliment aufgefasst.» Anja weist zudem darauf hin, dass die Reaktionen je nach Kontext, abhängig von anderen Filmen im gleichen Programm, anders ausfallen können.
Das Ziel, Animationsfilmerin zu werden, stand eigentlich nur bei Franziska schon zu Beginn der Ausbildung an der HSLU fest. Sie hat schon immer den Wunsch gehegt, Comic-Zeichnerin oder -Filmerin zu werden. Sie hat dann aber zuerst Informatik gelernt, bis ihr aufgefallen ist, dass es in der Schweiz eine Möglichkeit für das Studium des Trickfilms gibt. Diese Chance hat sie dann ergriffen. Irmgard Walthert entschied sich erst nach einem Vorkurs für den Lehrgang. Neugier und die Faszination am bewegten Bild haben den Ausschlag gegeben.
Anja wiederum interessierte sich für Illustration und Videofilm und entschied sich daher für die Mitte: «Wobei ich während der Ausbildung gemerkt habe, dass es nicht einfach die Mitte ist. Für die Animation zeichnet man ganz anders, und es ist auch nicht Film.» Sie betont einen bedeutenden Vorteil des Trickfilms gegenüber dem Realfilm: «Man muss die Naturgesetze nicht beachten, sondern kann einfach die im Kopf herumschwirrenden Gedanken umsetzen. Der Nachteil: Es dauert länger.»
Den Nutzen ihrer Ausbildung an der HSLU schätzen die Trickfilmerinnen hoch ein, nicht einzig wegen dem Erlernen der Technik. Der nicht zu unterschätzende Vorteil einer Schule sei der Kontakt mit weiteren Trickfilmern, mit denen man sich austauschen kann. Dadurch entsteht ein Netzwerk und die Schule unterstützt ihre Studenten auch bei der Einreichung der Filme an Festivals. Sie weisen aber auch auf andere Aspekte hin. Irmgard und Claudia entwickeln derzeit zusammen mit einem weiteren Studenten im Rahmen eines Master-Lehrgangs ein neues Projekt an der HSLU. Dabei ist ihnen die Freiheit wichtig, die ihnen die Schule bietet. Irmgard dazu: «Wenn man nachher mit Produzenten zusammenarbeitet, wird so viel reingeredet, dass es extrem schwierig wird. Gerade wenn man noch so jung ist.»
In die ferne Zukunft wollen die Trickfilmerinnen nicht blicken. Wenn möglich, möchten sie zwar weiterhin Animationsfilme herstellen. Aber ganz realistisch bemerkt Claudia, dass man sich in dieser Branche nicht einen 10-Jahres-Plan aufstellen darf: «Das funktioniert nicht und man zerstört sich damit nur selbst.» Franziska hat zwar Pläne, versucht sich aber nicht darauf zu versteifen. Und doch fügt sie noch lächelnd hinzu: «Ich habe schon riesige Träume.»
Nachdem wir von Franziska vor dem Gespräch auf der Suche nach einem perfekten Plätzchen schon durch halb Lissabon geführt worden sind, durchstreiften wir anschliessend noch weitere Teile der Stadt nach einem idealen Motiv für ein Foto. Am Schluss landeten wir, ohne den Namen zu kennen, vor der Drahtseilbahn Elevador da Glória. Eingestiegen sind die Animationsfilmerinnen zwar nicht, aber ich wünsche ihner Karriere trotzdem einen ähnlich steile Anstieg wie dem Aufzug des Ruhms.