Am 1. Oktober 2008 war am Zurich Film Festival die Premiere des Thrillers «Eagle Eye». Aus diesem Grund war auch Regisseur D.J. Caruso in Zürich und gab im Hotel Baur au Lac Auskunft über die Dreharbeiten des Films. Obschon er gerade erst aus den USA eingetroffen war, fühlte sich Caruso hervorragend und verteilte dickes Lob an die Schweizer Fluglinie: «Swiss is amazing! I think it’s the best flight I ever had.»
Passend zur Besprechung der Blu-ray-Disc folgt hier das gezügelte Interview. Gegen Schluss des kurzen Gesprächs habe ich mich auch noch über die Reaktionen auf das Ende des Films erkundigt. Wer also nicht wissen möchte, wie die Handlung ausgeht, überspringt einfach die beiden mit «Spoiler» gekennzeichneten Fragen.
Wie zufrieden bist Du mit dem Resultat an den Kinokassen?
DJ Caruso: Seeehr zufrieden. Das war angenehm. (lacht)
Die Erwartungen wurden also erfüllt?
DJC: Yeah! Es war ein bisschen höher als wir dachten. September ist in den USA für gewöhnlich nicht ein starker Monat. Sie haben mich überredet… Ich habe erwartet, dass «Eagle Eye» ein Sommerfilm ist, aber der Sommer war überfüllt. Sie sagten mir, es spiele keine Rolle, denn das Publikum wünscht sich einen Actionfilm, nachdem die Schule wieder begonnen hat. Das hat grossartig funktioniert. Die Resultate von Montag und Dienstag sind ebenfalls gut. Ich war sehr glücklich. Das kann man nie vorhersehen.
Im Vergleich zu «Disturbia» stand ein bedeutend höheres Budget zur Verfügung, 80 Millionen Dollar gegenüber 20 Millionen Dollar. Gab es dadurch auch mehr Druck?
DJC: Ja. Jedes Mal wenn das Budget ansteigt, lastet auch viel mehr Druck auf dir. Es hat mir immer gefallen, im Bereich 20 Millionen, 18 Millionen Dollar zu arbeiten. Dann bist du nur ein kleiner Punkt. Weisst du, was ich meine? Du kriegst nicht alle Werkzeuge, aber das Studio achtet auch nicht so stark auf Kleinigkeiten. Aber wenn du einen 80-Millionen-Dollar-Film drehst, ist es ein klein wenig anders.
Wurdest Du ständig überwacht?
DJC: Es war nicht… Das grossartige an Dreamworks ist, das sie dir Freiheiten geben, denn es ist Steven Spielbergs Firma. Sie geben dir Freiheiten, aber ich denke, ich habe mich selbst unter Druck gesetzt. Ich komme nämlich vom Fernsehen, und bei einer Serie wie «Shield» drehen wir 10 Drehbuchseiten pro Tag. Du trägst eine grosse Verantwortung. Es gibt bedeutend mehr Fragen, die du beantworten musst, und neben jeder Antwort steht ein Dollar-Zeichen. So denkst du immer: «Wenn ich das nicht sagen würde, was würde passieren?» Es gibt ein wenig mehr Druck. Ich habe ihn eindeutig gespürt. Das war vielleicht vielfach verinnerlicht, aber ich habe ihn ganz bestimmt gespürt.
Bist Du jemals aufgewacht und hast dich gefragt, wieso habe ich bloss dieses Projekt übernommen?
DJC: Nein, das ist nie passiert. Aber ich kann sagen, es war einfach eines jener Dinge… Auch weil wir den Film in Imax-Kinos auswerten, was nicht ursprünglich geplant war. Die Premiere fand an einem Dienstag in Hollywood statt, und ich habe den Film am Freitag zuvor fertig gestellt! Ich habe am Freitag um Mitternacht die Kopien für Imax geprüft. Ich habe mich immer gefragt: «Wie geraten Filmemacher in solche Situationen?» Nun musste ich sagen: «Ok, jetzt bin ich in dieser Situation.» Es gab Momente, vor allem in der Nachbearbeitung, wenn du ins Labor geht, die Kopien betrachtest, die Tonmischung anhörst und dieses und jenes… Es gab Momente, da dachte ich einfach: «Wow!» Aber komm schon, es ist ein grossartiger Beruf.
Die Nachbearbeitung war also genau so anstrengend wie die Dreharbeiten?
DJC: An und für sich war die Nachbearbeitung beinahe so herausfordernd wie die Dreharbeiten, beinahe. Es lässt einfach nicht nach. Du musst dich wirklich konzentrieren und anwesend sein. Ich bin kein Hollywood-Player: Ich lebe nicht in Hollywood, ich habe eine Familie mit fünf Kindern zu Hause. Es gibt entweder Zeit für den Film oder für die Kinder. Daher hatte ich immer das Gefühl, dass der Tag nicht genügend Stunden hat.
Wie anstrengend waren die Dreharbeiten?
DJC: Die grössten Herausforderungen waren die grösseren Szenen, die Autoverfolgung und so. Die Figuren hatte ich gut im Griff, und die Arbeit mit den Schauspielern machte Spass, aber die Logistik der Dreharbeiten – wir drehten zwei Tage in Chicago, zwei Tage hier –, wir waren immer in Bewegung. Es fühlte sich wie ein lustiger unabhängiger Film an. Aber dann hast du auf der Strasse nach hinten geschaut und die ganzen Lastwagen gesehen, die folgten, und bemerkt, dass es sich nicht um einen kleinen unabhängigen Film handelt. Ich würde also sagen, die Logistik und die grösseren Action-Szenen. Das sind Teile eines Puzzles, und du musst dich einfach auf das Teil des Tages konzentrieren. Du denkst die ganze Zeit, dass du vielleicht nicht genügend erreichst, aber letztlich wirst du doch fertig.
War es deine Entscheidung, schon wieder mit Shia LaBeouf zu drehen?
DJC: Yeah. Es war tatsächlich meine Entscheidung. Als ich das Drehbuch von Dreamworks erhalten habe, war die Figur 30 Jahre alt. Dann habe ich begonnen, über die Figur nachzudenken. Es fühlte sich so an, als ob Jerry eher 21 oder 22 Jahre alt, an diesem Punkt in seinem Leben ist. Es wäre realistischer, er arbeitet in einem Kopierladen, er weiss nicht, was er machen möchte, hat die Schule abgebrochen… Für eine 30 Jahre alte Person fühlt es sich ein wenig seltsam an. Ich sprach dann mit Steven und den Produzenten Alex Kurtzman und Bob Orci und schlug ihnen Shia vor. Damit war natürlich auch ein gewisses Risiko verbunden. «Disturbia» war ein kleinerer Film, «Transformers» besteht aus diesem grossartigen Spektakel von Michael Bay und diesen Robotern, und «Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull» verfügt über Indiana Jones and Harrison Ford. In «Eagle Eye» gibt es nur Shia, ein junger Erwachsener Shia ohne Tricks. Deshalb bin ich auch wirklich stolz auf das Abschneiden an den Kinokassen.
Wie stark warst Du an der Entwicklung der Geschichte beteiligt?
DJC: Die ursprüngliche Geschichte kam aus dem Kopf von Steven Spielberg. Ich habe ungefähr viereinhalb bis fünf Monate mit den Produzenten Bob und Alex und verschiedenen Autoren gearbeitet, um das Drehbuch mehr meinem Geschmack anzupassen. Mein grösster Beitrag bestand darin, die Handlung aus der Science-Fiction zu holen und in der Realiät zu verankern, in der die verwendete Technologie uns vertraut ist.
Der Film hat mich gut unterhalten, aber die Handlung hat nicht immer Sinn gemacht. Hat dir die Handlung jemals Kopfschmerzen verursacht?
DJC: Du weist auf einen interessanten Aspekt hin. Für mich hat es sich sehr simpel angefühlt – bis zur Umsetzung. Im Schneideraum stellst du dann fest, es ist sehr kompliziert. In einem Actionfilm ist die Handlung für gewöhnlich nicht so kompliziert. Aber in «Eagle Eye» müssen sich viele Dinge ereignen. Ja, ich habe im Schneideraumwegen der Menge an Informationen Kopfschmerzen gekriegt. Wir haben keine Szenen rausgeschnitten, aber es gab in den Szenen viele Informationen, die ich herausgenommen habe. Ich habe mich immer gefragt, ob ich sie brauche. Es war wie ein Kartenhaus. Die meisten Actionfilme bestehen nach etwa 70 Minuten nur noch aus (Explosionsgeräusch). In «Eagle Eye» fragst du dich nach 70 Minuten: «Ein Moment mal. Was geschieht nun?» Wie du gesagt hast, ich stiess immer wieder auf Probleme.
(Spoiler) Es gab viele Reaktionen auf den Film. Viele Personen waren überrascht, einige sogar verärgert, weil Jerry überlebt.
DJC: Ich weiss. Ich kann dir sagen, dass Jerry nach meinem Bauchgefühl nicht überlebt hätte.
(Spoiler) Gibt es ein alternatives Ende?
DJC: Nein. Ich habe kein alternatives Ende gedreht, weil Steven, Alex und Bob sagten: «Das kannst du nicht machen.» Ich hielt entgegen: «Seht euch <The Parallax View> an. Warren Beatty stirbt am Ende von <The Parallax View>.» Dann haben sie gesagt, dieser Film sei an den Kinokassen kläglich gescheitert. Ich habe darüber nachgedacht und habe versucht, ein alternatives Ende zu drehen, aber wir hatten nicht genügend Zeit und Geld. In den Vorführungen am letzten Wochenende hat das Publikum applaudiert, als Jerry zurückkommt. Da habe ich mir gedacht: «Ok. Steven weiss, was die Leute wirklich mögen.»
Welchen Stellenwert hat die politische Botschaft im Film?
DJC: Die Botschaft über die Haftung und Verantwortung von Regierungen, steht im Zusammenhang mit moderner Kriegsführung. Du sitzt im Keller des Pentagons, siehst dir Bilder von Videokameras an und musst intelligente Entscheidungen fällen. Da stellt sich die Frage, ob du in dieser Art von Kriegsführung wirklich intelligente Entscheidungen treffen kannst. Es war grossartig, dass das Verteidigungsministerium überraschenderweise mit uns zusammengearbeitet hat.
Was sind nun deine weiteren Pläne? Mehr Blockbuster oder wieder kleinere Filme?
DJC: Das kommt einfach auf die Handlung und die Figuren an. Offensichtlich sind die Türen durch die Möglichkeit, Blockbuster zu drehen, nun ein wenig weiter geöffnet. Ich arbeite momentan gerade an einer Comic-Verfilmung von «Y: The Last Man» für Warner Bros. Alle Lebewesen auf der Erde mit einem Y-Chromoson sterben, mit Ausnahme von einem einzigen Mann.
Welche Filme gefallen dir persönlich?
DJC: Alles mögliche mit guten Figuren.
Irgendwelche Lieblingsfilme?
DJC: Ich liebe «8½» von Fellini, ich liebe «The Godfather». Lasse Hallströms «My Life as a Dog» ist meine liebste Coming-of-Age-Geschichte. «Terminator 2: Judgement Day» ist einer der grossartigsten Actionfilme. Und Filme, die mich wirklich zu Tode erschreckt und inspiriert haben, sind «Jaws» und «Alien» von Ridley Scott.
Wenn in Zeitungen die Interview-Partner immer hübsch gesiezt werden, ist das häufig Heuchelei. Vor allem Filmemacher und Schauspieler aus den USA stellen für sich gewöhnlich mit Vornamen vor. Das ist dann zwar nicht unbedingt gleichbedeutend mit dem Du im deutschsprachigen Raum, aber auch sicher nicht mit dem gestelzten Sie. Da wir schon eine deutliche Unterscheidung haben, könnten wir auch noch eine dritte Form einführen…