20 Minuten mit «Cargo»-Produzent Marcel Wolfisberg

Im Spätsommer 2009 startet mit «Cargo» erstmals ein Schweizer Raumschiff in den Kinos. Vor Drehbeginn im Februar 2008 wurden der Presse bereits die Kulissen in einer vor dem Abbruch stehenden Industriehalle auf dem Sulzer-Areal gezeigt. Ende August habe ich mit Produzent Marcel Wolfisberg ein Interview führen dürfen, in dem er von seinen Aufgaben als Produzent sowie von den Dreharbeiten berichtete und erzählte, wie das aussergewöhnliche Projekt entwickelt wurde.

Was ist eigentlich genau die Aufgabe eines Produzenten?
Marcel Wolfisberg: Er ist der Geschäftsführer, der aber auch kreativen Einfluss hat. Entweder entwickelt man den Stoff selbst oder man besorgt sich das Material, kauft sich das Recht daran. Der Produzent ist von der Drehbuchentwicklung über die Finanzierung und Partnersuche bis hin zur Besetzung und der Fertigstellung des Films in das Projekt involviert. Er ist sozusagen der Kapitän von diesem Schiff, der es steuern muss und gleichzeitig Mitinhaber ist. Wenn das Schiff auf eine Klippe läuft und untergeht, hat er nicht nur die Besatzung und das Schiff verloren, sondern auch viel Geld.

Wie bist du zu diesem Projekt gestossen?
An und für sich war es ein Bubentraum. Als ich 7 oder 8 Jahre alt war, habe ich auf dem Estrich meiner Eltern schon die erste Kulisse gebaut. Die steht heute noch dort. Mein Vater schlägt sich ab und zu den Fuss an. Das ist eine Mars-Kulisse mit Wänden und Schluchten, durch die ich die Kamera an Kabeln durchgezogen habe, um den Effekt zu erreichen.
Ich bin auch mit «Star Trek» und «Star Wars» aufgewachsen. Ich habe jedes Raumschiff als Modell gebaut. Es ist nicht so, dass ich etwa ein Trekkie bin, aber mir haben einfach die fernen, fremden Welten und die Heldentaten von kleinauf bis heute imponiert. Ich habe mir immer gesagt: «Irgendwann möchte ich meinen eigenen Science-Fiction-Film realisieren und zwar hier in der Schweiz.» Diese Idee ist lange im Bauch und im Kopf herangereift.
Dann habe ich Ivan Engler kennen gelernt, als er in Locarno seinen Abschlussfilm «Nomina Domini» vorstellte. Da habe ich mir gesagt: «Wow, das ist genau der Look, der mir gefällt!» Der Stil, die Dynamik, der Ton. Da habe ich ihn kontaktiert und ihm erklärt, dass wir gerade eine RS-Komödie produzieren, ich aber eigentlich schon lange einmal einen Science-Fiction-Film herstellen möchte. Da hat er mir am Telefon gesagt, das höre sich abgefahren an, aber wir könnten uns ja einmal treffen. So haben wir gemerkt, dass wir gut zusammenarbeiten können und ähnliche Vorstellungen haben. Schon bald einmal ist die gemeinsame Idee von diesem Riesenschiff mit der unheimlichen, unbekannten Fracht gereift. Das Grundgerüst ist relativ schnell errichtet gewesen.

Wie wurde das Projekt weiterentwickelt?
Nach den ersten Überlegungen haben wir es mit ein paar Leuten besprochen und Drehbuchautoren hinzugezogen. Immer mehr Personen haben sich für das Projekt begeistert, auch dass wir so etwas überhaupt anpacken, obschon uns immer wieder gesagt wurde, es sei aussichtslos, in der Schweiz kann nicht gedreht werden und wir erhalten kein Geld. Vermutlich sind wir die Sache teilweise auch ein wenig blauäugig angegangen. Wir haben nicht immer alles wirklich hochprofessionell geprüft. Am Anfang war es einfach ein Projekt, das wir vorangetrieben haben, ohne zu wissen, ob wir es jemals realisieren können. Darum war zum Zeitpunkt der Eingabe für die Finanzierung auch schon so viel Vorarbeit vorhanden. Damals waren schon dreieinhalb Jahre und viele Arbeitsstunden vergangen, in denen die ganze Welt kreiert und entwickelt wurde. Da existierten bereits Knöpfe und Kostüme. Es gab schon Ordner voll mit Produktionsdesign, das wir zeigen konnten.

Wie wurde das Projekt von der Filmbranche aufgenommen?
Lang hat die Szene nicht geglaubt, dass wir so ein Projekt überhaupt auf die Beine stellen können. Schon alleine die Grösse des Raumschiffs und die dafür benötigte Menge an Holz und Räumen war eine riesige Herausforderung. Aber auch die Erschaffung der dreidimensionalen Welten am Computer und die Kombination mit dem Realbild. Dafür ist in der Schweiz einfach kein Know-how vorhanden. Da mussten wir dann hören, dass wir daran sowieso schon scheitern. Wir haben wirklich überall Neuland betreten. Wir haben uns auch nicht immer überlegt, was geschieht nun, wenn das nicht klappt. Es waren immer drei oder vier Pläne vorhanden, die wir parallel verfolgt haben. Wenn der erste und der zweite nicht klappt, hatten wir immer noch einen dritten. Und dann war da immer noch ein Kamikaze-Plan Nummer 4. Wir haben immer versucht, uns möglichst viele Optionen offen zu halten und uns auch nicht von Kritiken aus der Szene oder von Förderinstanzen beirren zu lassen.

Wie anstrengend war die Finanzierung?
Es gab verschiedene Phasen. In der ersten Runde haben wir spannende Rückmeldungen erhalten, auch viele Vorschläge. Ein wenig verdutzt und erstaunt, aber trotzdem wurde erkannt, wie professionell wir uns an die Sache machten und etwa Baupläne und Architekten präsentieren konnten. Es war dann natürlich eine zweite Runde notwendig. In der ersten Runde sind vermutlich auch heute noch die Chancen gering, dass ein solches Projekt durchkommt. Wir haben aber auch viel profitieren können. Obschon wir vielfach die gleichen Türen zwei oder drei Mal einrennen mussten, wurden wir immer unterstützt. Es wurde nie einfach mit einem Nein abgelehnt. Wir erhielten gute und harte Kritiken, von denen wir sehr viel übernehmen und einbauen konnten. Aber der Prozess ist natürlich schon langjährig und hat Energie benötigt. Schwierig ist das falsche Wort, aber es braucht immer wieder eine Motivation. Es war aber wirklich auch unglaublich spannend, mit diesen Fördergremien an einen Tisch zu sitzen und zu fragen, was sie denn nicht gut finden. Das Schweizer Fernsehen, das Bundesamt für Kultur und die Zürcher Filmstiftung boten nicht nur eine Förderung in Form von Geld, sondern sie haben aktiv mitgeholfen, das Projekt zu entwickeln. Dazu haben diese drei Institutionen viel beigetragen.

Wie haben sich die Vorbereitungen gestaltet?
Ab einem gewissen Zeitpunkt arbeiten verschiedene Abteilungen parallel. Eines der ersten waren die Bauleute, die vor Ort in kurzer Zeit die Kulissen errichtet haben. Das Casting hat natürlich zum Teil schon früher begonnen. Irgendwann läuft das Fahrzeug einfach und dann kann nur noch kontrolliert werden, dass es auf der Strasse bleibt.
Die Vorbereitungen sind natürlich für alle Beteiligten unheimlich spannend gewesen, weil in Winterthur aus Stahl, Schrott und Holz die Innenräume eines Raumschiffs entstanden. Durch diese Räume konnten auch die vielen hundert Besucher begeistert durchmarschieren. Diese Faszination sprang auch auf mich hinüber, obschon ich jeden Plan x-mal gesehen habe. Ich habe auch selbst Holz geschleppt am Wochenende, damit wir ein wenig Arbeitskräfte sparen. Dafür habe ich jetzt ein Rückenproblem.
Es war harte Arbeit – wir haben in dieser Zeit etwa 80 Tonnen verschoben –, aber es war auch ein Plausch. Ich war fast täglich vor Ort während den Dreharbeiten, weil ich das auch genossen habe. Ich hatte zwar auch meine Aufgabe, den Sponsoren und Partnern den Drehort zu zeigen, aber es war auch für mich ein unglaublich spannender Prozess. Auch zu sehen, wie diese Räume, die vier bis fünf Jahre in unseren Köpfen existierten, nach unseren Plänen entstehen. Ivan Engler hat mit mir einen Ordner angelegt, in dem wir jede Schraube, jede Farbe, jeder Rost in jedem Raum definierten. Es war alles vorgegeben, auch durch Fotos, die wir überall auf der Welt von unseren Reisen nach Hause brachten. Sogar die Patina der Kleider ist nach einer Patina entstanden, die wir in Hamburg an einem Container fotografierten. Die Vorbereitungen sind wie geplant abgelaufen, weil wir gut vorbereitet waren. Es gab auch lustige Momente, etwa als wir eine Kulisse bauten und dann feststellten, dass wir dort mit der Kamera gar nicht hinkommen. Der Vermieter hat uns dann gesagt, wir dürfen eine Wand einreissen, damit wir mit der Kamera durchkommen.

Wie verliefen dann die Dreharbeiten?
Eine grosse Herausforderung war die Einhaltung des Zeitplans. Obschon wir acht Wochen Drehzeit eingeplant hatten – was für einen Schweizer Film viel oder zumindest genug ist –, sind wir auf den Tag fertig geworden. Wir hätten gerne noch dieses oder jenes mehr oder länger gefilmt. Wir haben dann kleine «Übernacht»-Departemente eingerichtet, die einsam in der Nacht gedreht haben. Einfach eine Kamera und ein kleines Team. Das ist natürlich nicht gerade förderlich für die Gesundheit, denn am nächsten Morgen mussten sie auch wieder arbeiten. Aber auch die Dreharbeiten sind wie geplant über die Bühne gegangen.
Als grösste Herausforderung stellte sich die Logistik heraus. Die Kulissen haben sich auf drei Etagen verteilt, zum Teil mit dem gleichen Material, den gleichen Wänden. An einem Ort wurde gedreht, an einem anderen abgerissen und an einem weiteren Ort parallel aufgebaut. Diese Herausforderung hat manchmal auch für Überstunden gesorgt. Aber es hat funktioniert – mit verhältnismässig wenig Überstunden.

Wo steht das Projekt momentan?
Der Rohschnitt ist fertiggestellt. Jetzt sind wir noch in der Bild-Postproduktion für 3D mit der Erweiterung der Gänge und der Kombination von realem und animiertem Bild. Parallel dazu wird das Sounddesign entworfen. Es sind immer vier bis fünf Departemente, die gleichzeitig arbeiten. Neben dem Sounddesign etwa auch die Orchestrierung. Und am Schnitt wird noch minimalstes Angleichen des Tempos durchgeführt.

Hast du es jemals bereut, die Produktion übernommen zu haben?
Bereut ist das falsche Wort. Ich bin ein paar Mal auch vor einer Wand gestanden und habe nicht gewusst, wie es weitergehen soll. Ich habe dann immer versucht, als Kapitän alle Personen anzuspornen. Ich habe auch viele schlaflose Nächte verbracht. Ich bin dann aber immer wieder in die Halle gegangen und habe mir die Kulissen angeschaut. In Gesprächen mit Ivan haben wir uns in den vergangenen sechs Jahren gegenseitig Energie zugeführt. An einen Abbruch habe ich nie gedacht. Ich habe mir immer gesagt, es gibt einen Weg, es gibt eine Lösung. In der Schweiz ist eigentlich alles möglich. Aber das eine oder andere graue Haar ist in dieser Zeit schon gewachsen.

Du erwähnst immer wieder Ivan Engler als Regisseur, aber bei diesem Projekt gibt es ja noch einen zweiten Regisseur. Wie ist es dazu gekommen?
Das ist vielleicht ein wenig schwierig zu verstehen, aber bei einem Film wie «Cargo» gibt es neben den Schauspielern und den Kulissen noch ganz viele andere Aspekte, die gleichzeitig berücksichtigt werden müssen. Da sind die Spezialeffekte, die erst später eingefügt werden. Die Schauspieler müssen auf etwas reagieren oder mit etwas interagieren, das noch gar nicht vorhanden ist. Wir haben auch eine spezielle Beleuchtung, Kulissenteile, die sich bewegen, Feuer, Explosionen. Um die Qualität in allen Bereichen zu gewährleisten, habe ich mich entschieden, die Aufgabe auf zwei Regisseure aufzuteilen. Ein Regisseur schaut auf die Schauspielerführung, der andere schaut nur auf das Bild. Vor Ort hat immer nur Ralph Etter Regie geführt. Sie haben nicht auf dem Set miteinander diskutiert, sondern immer nur hinter den Kulissen. Abgesprochen haben sie natürlich jede Szene und jede Einstellung. Das hat sich bewährt. In einer ähnlichen Situation mit einem so grossen Set würde ich das sofort wieder so machen.

(Bilder von den Dreharbeiten: ©Atlantis Pictures)

1 comment

  1. I’ve seen today ( endly impossible to find it anywhere in switzerland ! )

    Great film, proud to be swiss when i can see movies like that 😉

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