«Daneben geschrieben» von Alexander J. Seiler

«Siamo italiani» von Alexander J. SeilerZur Abwechslung einmal ein Buchtipp. Filmemacher Alexander J. Seiler feierte im August 2008 seinen 80. Geburtstag. Als provokativer Mitbegründer des Neuen Schweizer Films erlangte Alexander J. Seiler in den 60er-Jahren Berühmtheit. Sein Dokumentarfilm «Siamo italiani», in dem ganz nüchtern das Leben der italienischen Fremdarbeiter in der Schweiz geschildert wird, sorgte 1964 für heftige Diskussionen. Doch Seiler war zuvor und blieb danach immer auch ein Autor.

In «Daneben geschrieben» sind seine Texte aus 50 Jahren gesammelt: Neben Porträts von und Gesprächen mit Künstlern und Schriftstellern (von Henry Miller bis Max Frisch) finden sich Kolumnen, Vorträge und Essays über Film, Medien und Politik sowie kurze Bild- und Wortbetrachtungen. Zeigt sich Seiler in «Siamo italiani» und dem knapp 40 Jahre später entstandenen Nachfolgefilm «Il vento di settembre» hauptsächlich als aufmerksamer Beobachter, bringt er in seinen Texten mit präziser Sprache die Sachverhalte auf den Punkt.

Die in diverse Kategorien eingeteilten Artikel laden ein, genüsslich hin- und her zu blättern – und ein wenig daneben zu lesen. In seinen erfrischenden Texten zeigt sich Seiler nicht nur als aufmerksamer Chronist der Schweizer Gesellschaft, sondern lässt auch immer wieder die eigene Biografie einfliessen. Wenn er über den Umbruch in der Schweizer Filmszene schreibt, an dem er massgeblich beteiligt war, ist das unvermeidlich. Da analysiert Seiler die «Krise des Schweizer Films», ärgert sich über die obszöne Filmförderung oder sinniert über die Beschaffenheit der Filmzeit.

Manche Sätze sind geradezu prophetisch. Da schrieb er etwa 1968 in einem Artikel über den damals jungen Fredi M. Murer: «Die ‘Krise des Schweizer Films’, die während fast zwei Jahrzehnten jedes Projekt eines von Schweizern in der Schweiz realisierten Films mit einer untragbaren Hypothek aus überspannten Erwartungen und zugleich zynischer Skepsis belastete – dieser Marasmus aus Impotenz und Resignation war das Werk von Leuten, die im Film in erster Linie einen Wirtschaftszweig erblickten.» 40 Jahre später steht der Schweizer Film wieder an der gleichen Stelle.

«Il vento di settembre» von Alexander J. SeilerAuch sonst bringt sich Seiler immer wieder in seine Arbeiten ein. So beschäftigte ihn etwa der Wandel der Medien, die durch die Professionalisierung des Berufs keinen Bedarf an freien Autoren mehr haben. Als Reaktion auf fehlende Möglichkeiten zur Publikation gründete Seiler 1987 zusammen mit anderen Autoren die Zeitschrift «Einspruch» mit zwei Zielen vor Augen, «ein Forum für Autoren aufzubauen und Gegenöffentlichkeit herzustellen.» Die Zeitschrift überlebte aber nur gerade vier Jahre.

1997 konstatierte Seiler dann in einem Gespräch mit Konrad Klotz, dass Medien «nicht mehr als Meinungsmacher, sondern als Einebner und Stossdämpfer» fungieren. Dem Lese- wie auch dem Fernseh- und Kinopublikum werde keine Anstrengung mehr zugemutet. Die Feststellungen lassen nicht einfach eine Ernüchterung über den schwindenden Einfluss von Autoren erkennen, sondern drücken vielmehr seine Besorgnis über den Verlust von freien, unüberhörbaren Stimmen aus: «Ein Niklaus Meienberg ist nicht am Widerspruch, nicht an Ausgrenzung oder Verfemung zugrundegegangen, sondern an Gleichgültigkeit».

In allen Texten ist auch Seilers Lust an der Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen zu spüren. Der präzise Blick sorgt zudem dafür, dass viele Texte nichts an Aktualität  eingebüsst haben. So stellte er 1970 im Bezug auf die Arbeit einer politischen Kommission konsterniert fest: «Es herrscht eine Ideologie der Einigkeit und Einmütigkeit, die mehr und mehr verhindert, dass Konflikte anders an den Tag treten als in der Anonymität der Stimmurne oder im Protest ohnmächtiger Minderheiten gegen vollzogene Tatsachen.»

Trotz aller Empörung über Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen schimmert daneben oftmals selbstironischer Humor durch, etwa wenn Seiler nach der Volksabstimmung über den Beitritt zum EWR bekennt, dass er ein «demokratischer Hinterwäldler» sei, weil er es gewagt hat, ein Nein in die Urne zu legen. So bieten die Ansichten von Seiler durch die schonungslose Exaktheit der Gedanken und die direkte Sprache einen lustvollen Spaziergang durch 50 Jahre Lebenszeit.

Die Textsammlung «Daneben geschrieben» von Alexander J. Seiler kann direkt beim Verlag hier + jetzt bestellt werden oder sollte in jeder guten Buchhandlung zu finden sein.

(Bilder: «Siamo italiani» und «Il vento di settembre»)

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