[Erschienen am 6. August 2007, 19.15] Eine wahrlich seltsame Kultur ist in «Strange Culture» zu bewundern: die paranoide Kultur der Amerikaner. Geschildert wird der wahre Fall von Steve Kurtz, Kunstdozent an der Universität in Buffalo und einer der Begründer des Critical Art Ensemble. Als seine Frau am 11. Mai 2004 im Schlaf stirbt, ruft er die Notfallnummer. Die eintreffenden Polizisten befinden sein Labor für gefährlich und alarmieren das FBI, das Kurtz als Bioterrorist verhaftet.
Schnell ist aber klar, dass die Frau von Kurtz an einem Herzversagen gestorben ist. Die in der Wohnung gefundenen Bakterienkulturen, die für ein Kunstprojekt gezüchtet worden sind, das die Zusammenhänge zwischen Kunst und Konsum aufzeigen sollte, sind unbedenklich. Da der gesellschafts- und regierungskritische Künstler nun aber schon einmal verhaftet worden ist, muss er auch verurteilt werden, sonst würden die Behörden lächerlich aussehen. So wird Kurtz einfach des Betrugs angeklagt.
Der Film von Lynn Hershman Leeson, der in Locarno im Programm «Play Forward» zu sehen war, ist gleichermassen Kunstwerk wie Dokumentation. Die Figuren von Steve Kurtz und seiner Frau werden teilweise von den Schauspielern Thomas Jay Ryan und Tilda Swinton gespielt, die auch eigene Aussagen zu Protokoll geben. Auch Kurtz selbst und seine Arbeitskollegen äussern sich zu gewissen Aspekten. Nachrichtenaufnahmen und Bilder aus einem Comic über den Fall werden dazwischen gestreut.
In diesem Mix wird aufgezeigt, wie die Rechte der amerikanischen Bürger nach den Anschlägen am 11. September 2001 ausgehöhlt worden sind und Systemkritiker wie Kurtz zu Freiwild für die Gerichte werden, um diesen Dissidenten einen Maulkorb zu verpassen. Durch die Konstruktion von Kriminalfällen sollen andere radikale Künstler eingeschüchtert werden.
Der Film unterhält und erzieht gleichermassen. Beinahe schon surreal, wie gelassen Kurtz auf die bizarren Vorwürfe reagieren kann. Wie auf der Website des Critical Art Ensemble Defense Fund nachzulesen ist, wird die Gerichtsverhandlung für Sommer 2008 erwartet.
Fazit: «Strange Culture» ist ein anspruchsvoller und imminent wichtiger Film, der gefährliche politische Zusammenhänge sichtbar macht.
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