Locarno 08: Vom Sinn und Unsinn des Glamours

Natacha Koutchoumov und Christian Jungen

[Erschienen am 13. August 2008, 11.40] Am «Journée du Cinéma Suisse» wurde gestern über Sinn und Unsinn vom Glanz der Stars, roten Teppichen und Preisverleihungen diskutiert. Im Zentrum standen die Fragen, wie mehr Besucher in Schweizer Filme und wie mehr Stars an das Filmfestival Locarno gelockt werden können. Neben Marco Solari (Präsident Filmfestival Locarno) waren unter anderem auch Nicolas Bideau (Leiter Sektion Film beim Bundesamt für Kultur), der Dokumentarfilmer Christian Frei, die Schauspielerin Natacha Koutchoumov («Un autre homme») und Filmkritiker Jay Weissberg von «Variety» an dem von Christian Jungen («Mittelland Zeitung») moderierten Podiumsgespräch beteiligt.

In der Begrüssung erklärte Solari mit Nachdruck, dass der Nachfolger des künstlerischen Leiters Frédéric Maire als «conditio sine qua non» die Inhalte vor den Glamour stellen muss. Solari hielt auch fest, dass Stars und Intelligenz kein Widerspruch darstellen. Ziemlich aufgebracht wehrte er sich gegen die Oberflächlichkeit des Star-Zirkus und stellte schliesslich fest, dass Locarno bereits Stars anziehe. Die Aussagen waren spürbar an einen Teilnehmer der Podiumsdiskussion gerichtet.

Nicolas Bideau

Für Nicolas Bideau ist die Lösung aller Probleme ganz einfach: Es braucht unbedingt mehr Stars! Sie stellen die Verbindung des Publikums zum Film her. Damit hat er zum Teil recht, beweist aber auch einmal mehr, wie fernab der Realität er seine Forderungen aufstellt. Der Vorschlag, in der Schweiz ein Star-System aufzubauen, ist wie der Aufruf an ein Ei, endlich ein Huhn zu legen. Es ist zwar nicht unvorstellbar, dass auch in der kleinräumigen und zersplitterten Schweiz wieder ein Star-System entstehen kann, aber dazu braucht es in erster Linie mehr Geld für zusätzliche Grossproduktionen.

In den 40er- und 50er-Jahren gab es tatsächlich mehrere Namen, die ein grosses Publikum in die Kinos locken konnten. Aber selbst Hannes Schmidhauser, Anne-Marie Blanc, Heinrich Gretler, Margrit Rainer, Alfred Rasser, Liselotte Pulver oder Emil Hegetschweiler garantierten nicht immer volle Säle. Seither haben sich die Zeiten geändert. Ein Blick auf die erfolgreichsten drei Filme der letzten Jahre zeigt, dass heute das Publikum vor allem auf Inhalte anspricht.

Der Anreiz von «Die Herbstzeitlosen», «Mein Name ist Eugen» und «Achtung, fertig, Charlie!» kann höchstens sehr beschränkt durch die Schauspieler erklärt werden. Auch «Grounding» kam ohne eigentliche Stars aus, obschon natürlich viele Darsteller aus dem Fernsehen bekannt waren. Die Ausnahmen sind «Vitus» mit Bruno Ganz und «Handyman» mit Marco Rima. So sind dann auch die einzigen beiden Schauspieler, die tatsächlich manchmal in der Lage sind, ein Publikum in die Kinos zu bringen, die Komiker Marco Rima und Victor Giacobbo. Daneben gibt es natürlich noch Bruno Ganz, aber der ist schon fleissig im Ausland beschäftigt.

Wie will nun Bideau seine Schweizer Stars züchten? Das hat er nicht erklärt. Wie aber der internationale Markt zeigt, muss ein Star nach Möglichkeit jedes Jahr in einem Film zu sehen sein, sonst erschöpft sich seine Anziehungskraft. Auf Filme von Will Smith, Tom Hanks, Angelina Jolie und Brad Pitt muss das Publikum nicht mehrere Jahre lang warten. Dafür sorgt die Industrie. In der Schweiz lebt die Industrie aber zu einem sehr grossen Teil vom Geld des Bundes. Der kann sich ein Star-System schlicht nicht leisten. Ansonsten müsste Bideau dafür sorgen, dass etwa Nils Althaus, Joel Basman, Natacha Koutchoumov oder Marco Rima häufiger vor der Kamera stehen.

Damit die Anzahl der Produktionen gesteigert werden kann, müssten auch weniger Steine auf dem Weg liegen. Michael Steiner, Markus Imboden, Mike Eschmann, Sabine Boss, Christoph Schaub oder Bettina Oberli haben unter Beweis gestellt, dass sie publikumswirksame Filme drehen können. Ihre Projekte müsste der Bund ohne lange Prüfung finanzieren. Da stellt sich wiederum die Frage, ob die Schweizer Kinogänger überhaupt ein Star-System tragen können? Wie viele Schweizer Filme können innerhalb eines Jahres wirklich mehr als 200’000 Besucher generieren? Am Schluss steht wieder die Frage mit dem Huhn und dem Ei.

 Christian Frei und Natacha Koutchoumov

Aber ich schweife vom eigentlichen Thema ab. Auf die Äusserungen von Bideau schaltete sich wieder Solari in die Diskussion ein. Er stellte klar, wie schwierig es für Locarno ist, Stars für einen Auftritt zu verpflichten. Letztlich sei es eine Frage des Budgets: «Glamour kostet. Und wie es kostet!» Schauspieler aus Hollywood verlangen schnell einmal drei Erstklassflüge plus Businessklassflug für den Coiffeur, mehrere Limousinen und Übernachtung in den besten Hotels. Das koste schnell einmal 80’000 bis 100’000 Franken. Da die Verleiher sich nur selten an den Kosten beteiligen, landet die Rechnung auf dem Tisch von Solari. Da lobt er sich Michel Piccoli, der nichts oder zumindest fast nichts verlangt habe.

Auf den Punkt brachte die Angelegenheit auch Weissberg. Das Festival sei zwar für die Besucher, ist aber eben auch ein Business. Dabei gilt, dass mehr Stars auch mehr Aufmerksamkeit der Medien bedeutet, und dadurch auch mehr Sponsoren angelockt werden können. Mit Verweis auf die Academy of Motion Picture Arts and Sciences forderte Frei die Förderung der subversiven Seite des Glamours, die durch gezielte Aktivitäten grosse Filmkunst ermöglichen. Das wünschen sich sicher auch die Besucher von Locarno.

(Fotos: ©filmsprung.ch/Thomas Hunziker)

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