Locarno 09: «La donation» von Bernard Émond

Elise Guilbault in «La donation»

Attendez, vous verrez.

Aus dem Internationalen Wettbewerb sehe ich mir in den wenigen Tagen, an denen ich dieses Jahr in Locarno bin, nur gerade zwei Filme an. «La donation» von Bernard Émond habe ich ausgewählt, weil vor zwei Jahren auch sein als Kriminalfilm getarntes Sozialdrama «Contre toute espérance» im Internationalen Wettbewerb zu sehen war. Ich war also vorbereitet auf ein wenig kunstvolles, eher zähflüssig erzähltes Porträt von Menschen am Rand der Verzweiflung. Das habe ich dann auch gekriegt – und irgendwie bewundert.

Seit über 40 Jahren sorgt sich Yves Rainville (Jacques Godin) um die Gesundheit der Menschen in der abgelegenen Ortschaft Normétal in der kanadischen Provinz Québec. 1963 wurde er als Arzt von der Bergbaugesellschaft angestellt. Die letzte Mine wurde 1975 geschlossen. Geblieben ist er trotzdem, weil er sich in der Einöde heimisch fühlte. In seiner Tätigkeit hat er zwar die halbe Bevölkerung der Gegend auf die Welt gebracht, doch seit dem Wegfall der Industrie ist die Einwohnerzahl dennoch stetig geschrumpft. Die von den Siedlern mühsam gebändigte Natur holte sich ihre Gebiete wieder zurück.

Nun sucht er sich eine Stellvertretung für einen Monat – mit der Option auf eine Übernahme der Praxis. Auf die Anzeige meldet sich Jeanne Dion (Elise Guilbault), eine Notfallärztin aus Montréal. Sie ist fasziniert von dieser einzigartigen Gegend, kann sich aber noch nicht vorstellen, hier Wurzeln zu schlagen. Hier können sich die Patienten nicht einen Arzt aussuchen. Sie sind auf eine Person angewiesen. Umgekehrt steht aber auch Dr. Dion in einem belastenden Abhängigkeitsverhältnis zu den eigenwilligen Menschen in der Region.

Eric Hoziel und Elise Guilbault in «La donation»

«La donation» ist eine Betrachtung dieser Gesellschaft am Rande der Zivilisation und eine Charakterstudie zweier Menschen, die an unterschiedlichen Momenten in ihrem Leben stehen. Die beiden Hauptfiguren sind hin- und hergerissen zwischen ihrem Pflichtgefühl und der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Die kleinsten Entscheidungen wirken sich auf den weiteren Verlauf aus. Im Fall von Dr. Dion hängen davon Leben und Tod ab.

Émond ist kein filmtechnischer Ästhet. Die Geschichte und die Figuren stehen ganz klar im Zentrum des Films. Die Einstellungen sind einfach gewählt, die Kamerabewegungen ebenfalls. Die Schönheit findet der Regisseur in den Gesichtern seiner Schauspieler, ihrem Profil, ihrem Ausdruck. Und dieses Mal in der kargen Landschaft, den sich ins Unendliche erstreckenden Wäldern.

Wie die Figuren feststellen müssen, ist die Natur in ihrer Schlichtheit überwältigend. Um die Menschen hier zu verstehen, solle sie sich einmal in den Wald begeben – und sich Zeit lassen. Das rät der einfühlsame Bäcker (Eric Hoziel) einmal, nachdem Dr. Dion ein wenig erzürnt einen Mann zum Teufel geschickt hat, der unbedingt ein Arztzeugnis für Arbeitsunfähigkeit verlangte. Waldflucht als Rezept für Gelassenheit.

Fazit: «La donation» ist ein stilles, manchmal eindringliches Drama über Verantwortung und Einsamkeit, das viel Geduld verlangt.

Bewertung: 4 Sterne

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