Letzte Woche habe ich Luke Gasser in Zürich für ein Interview zu seinem Film «Die Nagelprobe» getroffen, in dem Polo Hofer (Bild) einen Archäologen spielt. Der in Obwalden lebende Gasser ist begeisterter Musiker und Filmemacher. In seinem bereits vierten Spielfilm erzählt er von metaphysischen Verbindungen zwischen Gegenwart und Mittelalter. Im Interview berichtet er von seiner Faszination für Übersinnliches, schwärmt von seinen filmischen Vorbildern und wundert sich über das Versagen der Politiker in der Bankenkrise.
«Die Nagelprobe» ist bereits dein dritter Film, der auch im Mittelalter oder früher spielt. Würdest du gerne im Mittelalter leben?
Auf keinen Fall. Es gibt ein paar Annehmlichkeiten. Die Aufklärung ist für mich schon noch wichtig. Freiheit, Selbstverantwortung, Entscheidungsfreiheit sind einige der grössten Errungenschaften. Das wäre im Mittelalter schwer möglich gewesen. Da wäre ich sicher Robin Hood geworden oder so. Die Feudalherrschaft hätte ich nie akzeptiert. Ich wüsste nicht, wieso ich einem König Geld zahlen sollte, das er sich gar nicht verdient hat. Das sind absolut widerliche Zustände. Aber es ist eine wahnsinnig faszinierende Zeit, und Film gibt mir die Möglichkeit, einen Ausflug dorthin zu machen. Aber ich möchte schon nicht dort leben. Auch medizinisch muss man sich das vorstellen. Ich habe heute riesig Halsschmerzen gehabt, bin aufgewacht, habe mir ein Pülverchen geholt und weg waren sie.
Woher kommt die Faszination für Sagen, Legenden und in diesem Film auch Übernatürliches?
Das ist der Wunsch nach Möglichkeiten. In früheren Zeiten gab es die Möglichkeit, Welten zu entdecken. Ein Reiz, im Mittelalter zu leben, wäre Entdeckungsfahrer zu sein. Wie Marco Polo. Solche Expeditionen sind heute nicht mehr möglich. Es gibt noch ganz wenige Auserlesene, die ins Weltall fliegen dürfen. Nur ist das inzwischen auch schon langsam ein berechnetes Abenteuer. Das ist nicht mehr die Mondlandung – sofern sie überhaupt stattgefunden hat. Das war noch pionierhaft. Was wenig gemacht wird, sind Entdeckungsreisen über unsere Ebene hinaus. Es ist ja interessant, dass es eigentlich physikalisch genau so klar noch etwas Unerklärliches gibt. Das ist eine Art Entdeckungsreise.
Hast du selber schon übersinnliche Erfahrungen gemacht?
Ich bin mit Sicherheit kein Esoteriker. Ich selber habe keine geistheilenden Fähigkeiten oder so. Das reut mich. Auf jeden Fall nicht dass ich es wüsste. Aber ich weiss, dass es das gibt. Ich habe solche Personen erlebt, und ich habe auch schon in medizinischen Angelegenheiten die Hilfe in Anspruch nehmen können. Das muss mit mir niemand darüber diskutieren, ob es funktioniert. Es funktioniert! Das kann Herr Couchepin gestrichen haben so viel er will, aber es ist die vernünftigere Variante als Pillen zu schlucken. Ob dahinter Selbstsuggestion steckt oder so, da gehen die Meinungen auseinander. Ich habe vor ein paar Tagen «The Exorcism of Emily Rose» geschaut. Von den Psychologen wird es immer ein Psychoschock als Auslöser erklärt. Das ärgert mich. Es ärgert mich, dass man sich nicht darauf einlassen kann. Was ist das für eine verdammt bornierte Welt, die sagt, es gibt etwas nicht, weil ich es nicht sehe. Ich sehe die Schizophrenie auch nicht. Ich habe übrigens auch den Mars noch nie selber gesehen oder zumindest die nächste Galaxie. Vielleicht gibt es sie ja gar nicht. Aber ich gehe davon aus, dass wir uns vernunftbegaft darauf einlassen.
Wie zufrieden bist du mit dem Film?
Ich bin eigentlich sehr zufrieden. Wir haben alles machen können, dass ich mir vorgestellt habe. Wir haben nichts weglassen müssen, weil zu wenig Geld vorhanden war oder etwas nicht funktioniert hat. Wir haben sehr lange am Drehbuch gearbeitet. Mit Urs Augstburger haben wir beim Schweizer Fernsehen einen sehr guten Lektor gehabt, der die Welt gut kennt und sich als Schriftsteller auch mit Arme-Seelen-Geschichten befasst. Wenn man alles 1:1 umsetzen kann, ist man nicht unzufrieden. In einem Jahr bin ich sicher nicht mehr zufrieden mit diesem Film.
Gibt es jetzt schon etwas, das du ändern würdest?
Nein, das kann ich jetzt noch nicht, weil er zu frisch ist. Das wäre jetzt noch ein wenig früh. Aber in einem Jahr will ich alles anders machen. Das ist auch gut so. Deswegen möchte ich dann wieder einen neuen Film drehen, um es besser zu machen.
Was war die grösste Herausforderung bei dieser Produktion?
Wie immer die Suche nach dem Geld. In der Schweiz ist immer die Finanzierung das schwierigste, vor allem in der Innerschweiz. Dort hat es absolut keine Strukturen. Es gibt in der gesamten Zentralschweiz keine Filmförderung. Das erschwert die Zusage von Bundesgeldern, weil die sind 50 Prozent subsidiär. Die anderen 50 Prozent müssen gebracht werden. Ich habe jetzt analog zur Zürcher Filmstiftung einen Verein gegründet, der die Situation ändern sollte. Sonst verpasst die Innerschweiz den Anschluss. Ich weiss, dass ich den Ruf des Billig-Filmers habe. Aber ich bin einfach sehr pragmatisch. Wenn ich vom Bund eine Million Franken abhole, dann kriegt sie ein anderer Filmemacher nicht. Das ist nicht in Ordnung. Ich versuche daher, mit einem kleineren Betrag auszukommen und gehe haushälterisch damit um. Dafür darf auch jemand anders seinen Film realisieren. Ich finde die Konzentration mit Filmen für 5 Millionen nicht gut. Das ist zu viel. Das bestätigt der Markt nicht.
Was hättest du anders gemacht, wenn du mehr Geld zur Verfügung gehabt hättest?
Nicht viel. Ich bin ja zufrieden mit dem Budget. Wenn ich nicht mehr Mittel habe, kann ich keine «Braveheart»-Schlachten inszenieren. Aber das ist auch gar nicht nötig. Im Prinzip ist auch das Mittelalter ein Kammerspiel, einfach in der Natur. Dafür habe ich auch nicht so viele Kompromisse eingehen müssen. Weil ich nicht ein so grosses Budget habe, gibt es diesen Druck nicht. Ich muss nicht so viele Personen ins Kino locken. Wir haben keine Kompromisse beim Dialekt gemacht. Fürs Mittelalter haben wir Wörter benutzt, die meine Grosseltern noch knapp verwendet haben. Man muss nicht jedes verstehen.
Wie bist du dann auf die Idee gekommen, mit Polo Hofer einen Berner nach Obwalden zu bringen?
Polo kenne ich schon lange als Musiker und habe schon mit ihm gespielt. Wir haben einen ähnlichen Musikgeschmack und sind beide grosse Filmverehrer. In Solothurn hat er «Fremds Land» gesehen und gemeint, dass ihn das interessiere. Ich habe ihn dann in «Anuk» nicht in die Bronzezeit stellen können. Ich habe Polo nicht wegen dem Namen besetzen wollen. Das ist sicher auch gut. Das schadet nicht, aber das alleine darf nie der Grund sein. Das würde nie funktionieren. Plötzlich haben wir uns wieder getroffen und irgendwie hat es sich dann ergeben: «Jetzt habe ich etwas. Du als Beamter, das funktioniert!» Polo ist nicht immer nur ein Sprücheklopfer. Wenn er nicht auf der Bühne steht, ist er sehr sehr zurückhaltend. Ich habe diese Seite auch gekannt und fand ihn genial als Beamten. Er hat bei den Dreharbeiten Polo abgelegt, hat die Rolle ernst genommen und war sehr gut vorbereitet. Er hat dann auch gesagt, Berndeutsch sei ja prädestiniert als Beamtensprache.
Hast du eigentlich nicht besonders viel Vertrauen in Profischauspieler. Oder wieso spielen in deinen Filmen hauptsächlich Laiendarsteller die Hauptrollen?
Ich finde sie irgendwie echter. Wir haben im deutschsprachigen Raum eine Theatertradition. Es ist den Filmen einfach anzusehen, dass sehr viel Theater gespielt wird und wenig Film. Ein weiteres Problem sind die normierten Sprachen und Dialekte. Heute reden ja alle Ziridytsch, und sonst imitieren sie als Zürcher einen anderen Dialekt. Das ist doch Quatsch.
Bist du glücklicher als Musiker oder als Filmemacher?
Ich bin immer mit dem glücklich, das ich gerade mache. Das hört sich ein wenig geschwollen an. Aber das hängt damit zusammen, dass ich ich in meine jeweilige Beschäftigung versinken kann. Wenn ich einen Film mache, interessiert mich nichts nebenbei. Wenn ich im Studio Musik aufnehme, gibt es nichts schöneres. Wenn ich auf der Bühne stehe, gibt es nichts schöneres als das. Es gibt auch anderes. Wenn ein Set aufgeräumt werden muss, wäre ich lieber das andere.
Wenn du auf eines von beiden verzichten müsstest?
Das ist eine ganz fiese, hintertriebene Frage. Dann wäre ich lieber erfolgreicher Filmemacher als nicht erfolgreicher Musiker. Oder lieber erfolgreicher Musiker. Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann.
Im Film ist eine Kritik an Politikern enthalten, die wegen wirtschaftlichen Interessen die Kultur und Kulturgeschichte vernachlässigen. Wie wichtig ist dir das?
Sogar McKinsey sagt, der wichtigste Faktor für einen Standort ist die Kultur. Steuern kommen an zweiter oder dritter Stelle. Das sage nicht ich, sondern McKinsey, eine Haifisch-Organisation, die mit Sicherheit nicht auf meiner Linie ist. Ich will das eben gar nicht gegeneinander ausspielen. Ich bin sehr wirtschaftlichsfreundlich und ich weiss, wieviel geleistet wird. Ich bin kein Linker, sondern bürgerlich denkend. Also gut, der ganze Banken-Kack hat mir auch zu denken gegeben. Dass die Politik nicht fähig gewesen ist, Bedingungen zu stellen, ist für mich eine Kapitulation vor schlechter Marktwirtschaft. Da hat die bürgerliche Seite einen Riesenfehler gemacht, von dem die SP – zurecht – hoffentlich profitieren wird. Das geht gegen die Arbeitsmoral, gegen die Arbeitsgerechtigkeit. Wettbewerb und Marktwirtschaft muss eine Ehrlichkeit haben, sonst glauben wir nicht mehr daran. Dann haben wir wieder ein Feudalsystem. Das Gegenteil von einer freien Marktwirtschaft. Aber: Wenn Leute nicht einsehen, dass die Kultur und die Identität fürs Geld nicht geopfert werden kann, dann tun sie mir leid. Die haben 10’000 Jahre Menschheitsgeschichte nicht begriffen.
Im Zusammenhang mit «Die Nagelprobe» erwähnst du «Andrej Rubljow» als Vorbild. Was gibt es sonst noch für Einflüsse auf deine Arbeit?
Relativ viele. Einzelne Filme, die mir wichtig sind. «Lawrence of Arabia» muss ich einmal im Jahr sehen. Die Kühnheit der Figur. Sicher das Gegenteil vom Weichei: Wenn es sein muss, dann machen wir das. Auch die Abenteuerlust und die Kompromisslosigkeit. Auch die Zwiespältigkeit. Ich habe sehr gerne die Filme von Emir Kusturica. Das Fabulieren gefällt mir. Auch stille Filme. Ein Lieblingsfilm ist «Local Hero» von Bill Forsyth. Das könnte auch in Lungern inszeniert werden. Nur so gut kann ich es nicht. So gut kann es niemand. Sonst wäre es nicht ein so legendärer Film. Das war ein Lucky Punch. Klassiker natürlich. Wer liebt «Casablanca» nicht? Den kann man einfach nicht nicht gut finden. Einmal im Jahr zappe ich ins Wagenrennen von «Ben-Hur». Das kommt immer am Karfreitag etwa um Viertel vor drei. Das geht einfach nicht besser. Die alten Bond-Filme habe ich gerne. Das ist so eine Anhäufung von Klischees, die raffiniert verbraten werden. Es gibt auch gute Schweizer Filme. «Das gefrorene Herz» finde ich wahnsinnig schön. «Der Erfinder» finde ich absolut spitze. Die Filme von Kurt Früh. Es gibt wirklich sehr viel.
Sehr interessantes Interview. Luke Gasser ist einfach ein interessanter und spezieller Mensch und Innerschweizer. “Die Nagelprobe” möchte ich mir ansehen, der Kinostart steht ja bevor.
Grüsse
feldwaldwiesenblogger