«Zwerge Sprengen» von Christof Schertenleib

«Zwerge Sprengen»

Schlimmer kommen können hätte es auch.

Idyllisch ist es im Emmental, wo die Kühe noch friedlich auf freien Wiesen grasen, die Seniorinnen neue Lingerie-Kreationen entwerfen und die Familien am Sonntag im Garten des Pfarrhauses Zwerge in die Luft jagen. Letztere Tradition kennt allerdings nur die Familie Schöni aus der Tragikomödie «Zwerge sprengen» von Regisseur und Co-Drehbuchautor Christof Schertenleib. In der Familie ist genügend Sprengstoff vorhanden, um mehr als nur ein paar Gartendekorationen zu sprengen.

Einmal im Jahr trifft sich die Familie Schöni im Garten von Pfarrer Werni Schöni (Urs Bihler) und seiner Frau Margrit (Silvia Jost). Dann findet jeweils auch der umtriebige Sohn Hannes (Michael Neuenschwander) den Weg zurück aus Zürich in den elterlichen Garten in Rüegsau. Da er gerade von seiner Freundin vor die Tür gestellt wurde, bringt er dieses Jahr die neue Bekanntschaft Agat (Doro Müggler) mit, die er am Tag zuvor auf seinem Rückflug von einer geschäftlichen Besprechung in London kennengelernt hat. Hannes ist eben ein unwiderstehlicher Scharmör, Schleimer und Schmarotzer. Agat soll das Ritual der Familie für ihre künstlerische Arbeit nutzen. Hannes hat aber in erster Linie noch ganz andere Absichten, denn finanziell ist er ein wenig unter Druck.

Nie so weit aus dem Emmental hat es Thomas (Max Gertsch) geschafft. Der Bruder von Hannes wohnt nur gerade 180 Schritte von seinen Eltern entfernt und betreibt mit seiner fleissigen Frau Karoline (Cathrin Störmer) eine Arztpraxis. Der Sohn Theo (Simon Schmid) spielt derweil anstatt mit Lego mit zerlegten Computern. Bei der Familienzusammenkunft sind jeweils auch die Schwester Babs (Mirjam Zbinden) mit ihren vier Kindern (das fünfte ist unterwegs) sowie Florence (Viviana Aliberti), die ehemalige Geliebte des Pfarrers, mit ihrem gemeinsam Sohn Luc (Jerome Berger) anwesend. Ein bunter Haufen, der durch die 30 Jahre alte Tradition des Zwergesprengens ein Zeichen gegen die Schein-Toleranz und protestantische Biederkeit setzt und für die ausgewanderte Schwester Tina eine Schweigeminute einlegt. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Spätestens als Evelin (Sara Capretti) auftaucht, eine Jugendliebe der Brüder.

Michael Neuenschwander und Doro Müggler in «Zwerge Sprengen»

Meine Begeisterung für «Zwerge Sprengen» ist womöglich ein wenig durch die mehrheitlich enttäuschenden Schweizer Filme der letzten Monate geprägt. Der intensive Film von Christof Schertenleib zeigt aber genau in den Bereichen seine Stärken, in denen «Nachbeben» vor vier Jahren letztmals so richtig überzeugen konnte: präzise und einfühlsam beobachtete Szenen, bissige Dialoge, aus dem Leben gegriffene Figuren, hervorragend besetzte Schauspieler und eine schwungvolle Inszenierung, die gleich von Beginn weg die Distanz zwischen den Figuren auf der Leinwand und dem Publikum vergessen lässt.

Schertenleib seziert genüsslich die Klischees der heilen Welt in den Familien der Schweiz. Familie Schöni mit ihrem wild verzweigten Stammbaum ist wohl ein treffendes Abbild von der durchschnittlichen Familie, in der die Schein-Toleranz zwar diskutiert wird («bei uns wird niemand zu seinem Glück gezwungen»), aber selbst die Kreativität von an sich radikalen Ritualen durch strenge Regeln erstickt werden. Ihre Probleme sind wohl ebenso charakteristisch. Die Brüder lieben sich, sind sich aber auch irgendwie ihre gegenseitige Lebensweisen neidisch. Der verheiratete Thomas fühlt sich in seiner Ehe eingengt, der ungebundene Hannes sehnt sich nach der geborgenen Liebe, die ihm sein Bruder bei einem Konzert von Züri West ausgespannt hat.

Die Mitglieder dieser Familie sind ganz bestimmt nicht «am Blues voruus», nicht einmal einen halben Schritt, auch wenn sie sich das gerne einreden und von einem romantischen Wochenende in Casablanca träumen. Weiter als Bümpliz kommen sie doch nie wirklich. Am Schluss fällt die treffende Umschreibung für diesen schwebend verkrampften Zustand: «Manchmal muss man etwas noch einmal sehen, um sicher zu sein, dass man es nicht mehr will.» Die kantigen Figuren sorgen dafür, dass «Zwerge sprengen» zu einem wunderbaren Anti-«Herbstzeitlosen» wird. Ein wenig kompakter hätte der Film sein dürfen. Aber selbst bei einer Länge von knapp über zwei Stunden werden die Erlebnisse der Schönis nie langweilig.

Fazit: «Zwerge sprengen» ist eine vergnügliche Tragikomödie über verpasste Chancen, missbrauchtes Vertrauen und die unheimliche Kraft der Familie.

Bewertung: 5 Sterne

(Bilder: © 2010 Filmcoopi)

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