Ländliche Tristesse aus Südamerika

«La perrera» von Manolo NietoNachdem ich den ersten Tag am Black Movie in Japan verbracht habe, führte die Reise am zweiten Tag nach Südamerika. Von der Örtlichkeit her verlagerte ich mich vom Cinéma Spoutnik ins «richtige» Kino, dem Salle Michel Simon des CAC Voltaire im Maison du Grütli. CAC steht übrigens für Le Centre d’animation cinématographique. Die Sitze sind ein wenig bequemer, die Beinfreiheit dafür eingeschränkter. Nun aber zum Kinematographischen.

Wenn ich mir an Festivals Filme aus anderen Regionen ansehe, frage ich mich immer, wie repräsentativ die Werke für die Produktion des jeweiligen Landes sind. Selbst aus Deutschland kommt nur ein Bruchteil der Filme in die Schweizer Kinos, aus Südamerika sind es ziemlich sicher noch bedeutend weniger. Die beiden Filme gestern stammen aus Argentinien und Uruguay (Koproduktion mit Argentinien) und lassen sich durch thematische und inhaltliche Ähnlichkeiten zumindest miteinander vergleichen.

«La rabia» («Die Tollwut») von Albertina Carri und «La perrera» («Die Hundehütte») von Manolo Nieto sind sicher nur schon daher eher nicht stellvertretend für die Filmproduktion ihrer Länder, weil beide in abgeschiedener Ländlichkeit spielen (obschon ich ehrlich gesagt in den letzten Jahren aus Südamerika tatsächlich wenige Filme gesehen habe, die im urbanen Umfeld spielen). Sie zeigen Menschen vermeintlich abseits der Gesellschaft, die nach ihren eigenen Regeln leben. Machoismus durchdringt beide Werke.

Manolo Nieto erzählt vom jungen Mann David. Nach misslungener Aufnahmeprüfung für die Universität in Montevideo vergeudet er im Haus seines Vaters die Tage. Sein Leben gerät aus den Fugen. Da zwingt ihn der Vater zu einer Tätigkeit: David soll ein Haus bauen. Aha, die Symbolik ist klar, er soll sein Leben aus Einzelteilen wieder zusammenfügen. Das Projekt kommt allerdings nur beschwerlich voran.

Erst als eine Kollegin von David aus Montevideo ihren Besuch anmeldet, wachen die in der Einöde lebenden Männer langsam aus ihrer Trance auf. Das Mädchen soll angeblich ihre Freundinnen mitbringen. Da juckt es in den Hoden der Männer und innert Kürze versammeln sie sich bei der Baustelle, um für die anstehende Orgie ein Dach über dem Kopf zu haben. Man muss nicht gerade Hellseher sein, um zu erahnen, dass die Vorstellungen der Männer nicht wirklich erfüllt werden.

«La rabia» von Albertina CarriSex steht auch im Zentrum des Films von Albertina Carri, allerdings um einiges konkreter. Da ist ein erigierter Penis nicht nur in einem Pornoheft (wie in «La perrera») zu sehen. Ein alleinerziehender Vater treibt es ziemlich wild mit der Frau seines Nachbarns. Deren stumme Tochter wird Zeuge des Geschlechtsakts. Richtig Bewegung in die Angelegenheit kommt allerdings erst, als der gehörnte Vater seiner Frau den Kontakt mit dem Nachbarn verbietet und die Tochter nicht mehr mit dem Sohn des Nachbarn spielen darf.

Die Stimmung in beiden Filmen ist eher bedrückend. Mäandert jedoch die Handlung von «La perrera» wie die Hauptfigur eher ziellos umher, spitzt sich die Situation in «La rabia» immer bedrohlicher zu. Der Hauptunterschied ist allerdings im schöpferischen Gestaltungswillen der Filmemacher zu finden. Nieto beobachtet eher zufällig, die Bilder sind so schmutzig wie die Männer.

Carri legt jedoch grossen Wert auf die sorgfältig ausgewählten Einstellungen, welche die Spannung zusätzlich steigern. Von der Deutlichkeit der Gewalt treibt es Carri mehrmals auf die Spitze, etwa wenn eine Sau geschlachtet wird oder das Liebespaar sich in Sadomasochismus übt. Der künstlerische Ausdruck wird durch die eingefügten Animationen verstärkt, die vom Stil her an die Zeichungen von Ralph Steadman erinnern. Erschöpft sich «La perrera» ein wenig in belangloser Gefälligkeit, gräbt sich «La rabia» durch verstörende Eindringlichkeit in die Erinnerung ein.

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