Mir händ eifach relativ viel Lärme gmacht.
Anfang der 90er-Jahre wurden die Zugreisenden in Zürich mit der Parole «Alles wird gut» begrüsst. Wie es dazu kam und was dahinter steckt, zeigt Mischa Brutschin in «Allein machen sie dich ein». Die gut 6-stündige Dokumentation auf acht DVDs zeichnet mit umfassendem Film-, Foto- und Tonmaterial die explosive Geschichte der Häuserbewegung in Zürich nach: vom Kampf ums AJZ und den Jugendunruhen in den 70ern über das Elend am Platzspitz bis zur Besetzung des Wohlgroth-Areals beim Hauptbahnhof. Eine perfekte Möglichkeit, verschiedene Facetten der Stadt und ihrer Bewohner kennenzulernen.
Wer schon einmal in Zürich eine vernünftige und bezahlbare Wohnung gesucht hat, wird schon mindestens einmal nahe an der Verzweiflung gewesen sein. Die Situation auf dem städtischen Wohnungsmarkt ist schon seit Jahrzehnten ziemlich prekär und sorgte von Anfang der 70er- bis Mitte der 90er-Jahre zu regelmässigen Besetzungen von leerstehenden Häusern. Der eigentliche Auslöser für den Beginn von diesen Häuserbesetzungen war zu Beginn der 70er-Jahre der geplante Abriss von mehreren Wohnhäusern am Tessinerplatz beim Bahnhof Enge. Am 1. April 1971 wurden dann sieben Häuser von ehemaligen Mietern und Sympathisanten besetzt. Für sie dienten die Häuser am Tessinerplatz als Beispiel für die Wohnraumzerstörung und die schwachen Mieterrechte.
Da der Kampf für günstige Wohn- und Freiräume eng mit der Jugendbewegung und deren Bemühungen um ein unabhägiges, sprich autonomes Jugendzentrum verflochten ist, spannt Mischa Brutschin in «Allein machen sie dich ein» den Bogen bis zu den Zürifesten in den 50er-Jahren. Damals sammelten Jugendliche bereits Geld für ein Jugendhaus. Zwar wurde bereits 1961 das Drahtschmidli (wo sich heute das Jugendkulturhaus Dynamo befindet) als Jugendhaus eröffnet. Doch der Betrieb wurde stark von Jugendvereinen geprägt, so dass der Wunsch nach einem selbstbestimmten Zentrum bestehen blieb. Die konservativen Stadtbehörden zögerten eine Umsetzung aber immer wieder hinaus, so dass sich die Stadträte an einer Versammlung mit der Forderung «Ich will nöd für mini Enkel es Jugendhus, ich wotts für mich!» konfrontiert sahen.
Mit beeindruckendem Bildmaterial wird parallel die Geschichte der beiden miteinander verknüpften Bewegungen geschildert. Nach Räumung der Häuser am Tessinerplatz wurden bald weitere kurz vor dem Abbruch stehende Häuser besetzt. Dazwischen kam es immer wieder zu kleineren und grösseren Demonstration, die nicht selten durch radikalen Polizeieinsatz aufgelöst wurden. Quer durch die Stadt folgte eine Besetzung auf die nächste. Eine zentrale Rolle spielten das Karthago am Stauffacher, die Häuser an der Schmiede Wiedikon, die Heinrichstrasse 137 und am Ende natürlich das Wohlgroth-Areal. Als sich Ende der 80er-Jahre die offene Drogenszene nach jahrelanger Vertreibung auf dem Platzspitz hinter dem Hauptbahnhof niederliess und die Drögeler teilweise in besetzten Häusern Rückzugsmöglichkeiten fanden, wurde auch dieser Einfluss dokumentiert.
Durch die subjektive Betrachtung ist die Collage weniger eine neutrale Analyse als vielmehr eine persönliche Chronik der Szene. Auf rückblickende, einordnende Interviews wurde vollständig verzichtet. Für die relativ neutrale Betrachtung sind verschiedene Radiobeiträge zuständig. Anonsten müssen die Bilder in der Dokumentation meist für sich selbst sprechen. Dadurch ist «Allein machen sie dich ein» aber nicht weniger eindrücklich und aufschlussreich ausgefallen. Die eingestreuten Kommentare sind wohlwollend bis unterstützend, sparen aber auch nicht an Kritik an einigen Strömungen innerhalb der Bewegung. Besonders die Selbstgefälligkeit von einigen Gruppen im ehemaligen Schulhaus Kanzlei, die mehr oder weniger gleichmütig zwei Niederlagen in Abstimmungen hinnahmen, stossen auf Unverständnis.
Mangelhaft ist einzig die Angabe der Quellen. Welche Band gerade zu hören ist, wird meistens eingeblendet (der Titel der Dokumentation entstammt demnach von einem Lied von Schröder Roadshow). Doch woher das Bildmaterial stammt oder wer gerade spricht, wird nur sehr selten angegeben. Wenn ausserdem Sprecher Silvano Sperranza seine Sätze mit «Wir» beginnt, ist jeweils nicht klar, ob er nun ein Zitat vorliest oder aus seiner eigenen Perspektive in Erinnerungen gräbt. Wer sich übrigens zusätzlich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Häuserbewegung wünscht, kann sich als Ergänzung von der Universität Zürich die Dissertation «Wo-Wo-Wonige! – Stadt- und wohnpolitische Bewegungen in Zürich nach 1968» von Thomas Stahel herunterladen.
Die Bildqualität der wertvollen Dokumentation schwankt entsprechend dem Ursprung und der Beschaffenheit des Ausgangsmaterials. Die Videoaufnahmen aus den 80ern weisen die üblichen Schwächen auf, aber die meisten Bildaufnahmen sind durchaus solide. Als Bonusmaterial sind die beiden Kurzfilme «No Futter» von den Bewohnern des Karthago und «Benito Bonomo» von Patrick Maillard sowie Aufnahmen eines Ausflugs der Häuserbesetzer ins Freilichtmuseum Ballenberg enthalten.
Bewertung:
Bild-/Tonqualität:
Bonusmaterial:
(Bilder: © Mischa Brutschin)
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