Jetzt dauert es nur noch zwei Wochen bis zur Verleihung der meistbeachteten (und meistgehassten) Auszeichnungen im Filmgeschäft. In der Nacht auf Montag, 23. Februar, beginnt um 2 Uhr die Übertragung der 81st Annual Academy Awards. Da ich das nächste Wochenende in den Bergen verbringen werde, ist es nun höchste Zeit, meine Vorhersagen abzugeben. Sie fallen nicht gleich vertieft aus wie 2008, weil ich mich dieses Jahr nicht ganz so intensiv mit den vorhergehenden Auszeichnungen auseinander gesetzt habe. Dafür sind sie vielleicht zutreffender.
Letztes Jahr habe ich in den Spielfilm-Kategorien nur gerade klägliche 12 von 20 Ausgezeichneten korrekt vorhergesagt. Diesen Wert möchte ich dieses Jahr klar steigern, was aber nicht gerade einfach werden wird. Die Academy hat in diesem Jahr wieder einmal ziemlich unberechenbar selektioniert. Als Gradmesser verlasse ich mich einerseits auf die Gurus of Gold, andererseits auf den Aktienwert an der Hollywood Stock Exchange (HSX). Dazu lasse ich eigene Überlegungen einfliessen. Anschliessend die einzelnen Kategorien mit allen Nominierten. Meine Vorhersage ist fett markiert.
Best motion picture of the year
«The Curious Case of Benjamin Button»
«Frost/Nixon»
«Milk»
«The Reader»
«Slumdog Millionaire»
Achievement in directing
«The Curious Case of Benjamin Button» von David Fincher
«Frost/Nixon» von Ron Howard
«Milk» von Gus Van Sant
«The Reader» von Stephen Daldry
«Slumdog Millionaire» von Danny Boyle
Adapted screenplay
«The Curious Case of Benjamin Button»
«Doubt»
«Frost/Nixon»
«The Reader»
«Slumdog Millionaire»
Die ersten drei Kategorien kann ich gleich in einem Kommentar behandeln. Als bester Film wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit «Slumdog Millionaire» ausgezeichnet. Auch die Trophäen für Regie und adaptiertes Drehbuch gehen vermutlich an diesem Film. Dabei ist vor allem die Auszeichnung für das Drehbuch sehr fragwürdig. Pascal Blum erwähnt im «Züritipp» zurecht, dass es nach «Creative-Writing-Kurs» riecht, und Liz Sutter hat gerade gestern in einer Kolumne «Tages-Anzeiger» exakt beobachtet, dass die Story «die Struktur eines Karomusters hat und trotz Action und Tempo spannungslos bleibt.» Das ist nicht einfach «Ansichts- und Geschmackssache», das ist eine Tatsache. Aussenseiter sind in den letzten beiden Kategoren David Fincher und Eric Roth für «The Curious Case of Benjamin Button».
Original screenplay
«Frozen River»
«Happy-Go-Lucky»
«In Bruges»
«Milk»
«WALL•E»
Hier sind die Gurus of Gold zwischen «Milk» von Dustin Lance Black und «WALL•E» von Andrew Stanton und Jim Reardon gespalten. Die Writers Guild of America hat gestern Dustin Lance Black ausgezeichnet und auch an der HSX wird «Milk» deutlich höher eingestuft. Fragt sich nur, ob wieder ein «Brokeback Mountain»-Szenario eintrifft oder ob die Academy gerade deshalb Busse tun wird. Als Aussenseiter taucht hier auch noch der in der Academy beliebte Mike Leigh mit «Happy-Go-Lucky» auf.
Performance by an actor in a leading role
Richard Jenkins in «The Visitor»
Frank Langella in «Frost/Nixon»
Sean Penn in «Milk»
Brad Pitt in «The Curious Case of Benjamin Button»
Mickey Rourke in «The Wrestler»
Ein Zweikampf zwischen Sean Penn und Mickey Rourke. Beide werden von der Academy nicht sonderlich geliebt. Daher muss an dieser Stelle an das Szenario von 2003 erinnert werden, als Adrien Brody die klaren Favoriten Jack Nicholson und Daniel Day-Lewis ausstach. Doch wer würde dieses Jahr in diese Rolle schlüpfen? Ist Brad Pitt schon zu populär? Auch eine Auszeichnung von Richard Jenkins oder Frank Langella würde mich nicht überraschen.
Performance by an actor in a supporting role
Josh Brolin in «Milk»
Robert Downey Jr. in «Tropic Thunder»
Philip Seymour Hoffman in «Doubt»
Heath Ledger in «The Dark Knight»
Michael Shannon in «Revolutionary Road»
Zu dieser Kategorie verschwende ich keine Worte.
Performance by an actress in a leading role
Anne Hathaway in «Rachel Getting Married»
Angelina Jolie in «Changeling»
Melissa Leo in «Frozen River»
Meryl Streep in «Doubt»
Kate Winslet in «The Reader»
Anne Hathaway und Melissa Leo habe ich noch nicht gesehen. Aber hier dürfte das Rennen ganz klar zwischen den Dauernominierten Kate Winslet (6 Nominationen in 14 Jahren) und Meryl Streep (15 Nominationen, 2 Auszeichnungen in 31 Jahren) ablaufen. Die Gurus of Gold und die HSX sehen Winslet im Vorteil. Soll ich mich nun von meiner eigenen Einschätzung – Streep ist in «Doubt» klar besser als Winslet in «The Reader» – leiten lassen? Wenn ich auf Streep setze und Winslet gewinnt, ärgere ich mich doppelt, im umgekehrten Fall nur einfach. Ein klarer Fall.
Performance by an actress in a supporting role
Amy Adams in «Doubt»
Penélope Cruz in «Vicky Cristina Barcelona»
Viola Davis in «Doubt»
Taraji P. Henson in «The Curious Case of Benjamin Button»
Marisa Tomei in «The Wrestler»
Hier spielen viele Faktoren mit. Gewinnt Streep, sinken die Aussichten für ihre Nebendarstellerinnen aus «Doubt». Verliert Streep, dürfte Viola Davis sozusagen als Stellvertreterin ausgezeichnet werden. Diese Trophäe hat sie sicher aber bestimmt verdient. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wieso die Gurus of Gold und die HSX Penélope Cruz als Favoritin sehen. Etwas Verwirrung besteht hier bestimmt, weil die Screen Actors Guild in dieser Kategorie Kate Winslet für «The Reader» geehrt hat.
Best animated feature film of the year
«Bolt»
«Kung Fu Panda»
«WALL•E»
«Kung Fu Panda» wurde mit 10 Annie Awards ausgezeichnet, die Konkurrenz ging leer aus. Obschon mir die DreamWorks-Produktion sehr gut gefallen hat, gibt es keinen Zweifel, dass «WALL•E» der bessere Film ist.
Achievement in art direction
«Changeling»
«The Curious Case of Benjamin Button»
«The Dark Knight»
«The Duchess»
«Revolutionary Road»
Die Ausstattung muss auffallend sein. Das Bewies im letzten Jahr «Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street». Das spricht ganz klar für «The Curious Case of Benjamin Button».
Achievement in cinematography
«Changeling»
«The Curious Case of Benjamin Button»
«The Dark Knight»
«The Reader»
«Slumdog Millionaire»
Wieder ein Duell zwischen «The Curious Case of Benjamin Button» und «Slumdog Millionaire». Mir hat die Arbeit von Claudio Miranda besser gefallen (die Szenen an der Rotunde sind einfach atemberaubend). Daher tippe ich auf die schillernden Mumbai-Aufnahmen von Anthony Dod Mantle.
Achievement in costume design
«Australia»
«The Curious Case of Benjamin Button»
«The Duchess»
«Milk»
«Revolutionary Road»
Immer das Kostümdrama! Wirklich. Also «The Duchess». Auch wenn die Gurus of Gold ganz leicht «The Curious Case of Benjamin Button» favorisieren.
Achievement in film editing
«The Curious Case of Benjamin Button»
«The Dark Knight»
«Frost/Nixon»
«Milk»
«Slumdog Millionaire»
Müsste eigentlich Lee Smith für «The Dark Knight» sein. Aber die Academy liebt «Slumdog Millionaire».
Achievement in makeup
«The Curious Case of Benjamin Button»
«The Dark Knight»
«Hellboy II: The Golden Army»
Auch hier haben John Caglione, Jr. und Conor O’Sullivan für «The Dark Knight» hervorragende Arbeit geleistet. Aber Greg Cannom wird vermutlich für «The Curious Case of Benjamin Button» ausgezeichnet.
Achievement in music written for motion pictures (Original score)
«The Curious Case of Benjamin Button»
«Defiance»
«Milk»
«Slumdog Millionaire»
«WALL•E»
Die Trophäe müsste ganz klar an Thomas Newman für «WALL•E» gehen. Stattdessen wird sehr wahrscheinlich A. R. Rahman für «Slumdog Millionaire» ausgezeichnet.
Achievement in music written for motion pictures (Original song)
«Down to Earth» from «WALL•E»
«Jai Ho» from «Slumdog Millionaire»
«O Saya» from «Slumdog Millionaire»
Schwierige Ausgangslage. Peter Gabriel und Thomas Newman haben gute Aussichten für «Down to Earth» from «WALL•E». Sofern sich die «Slumdog Millionaire»-Fans nicht auf «Jai Ho» von A. R. Rahman und Gulzar einigen können.
Achievement in sound editing
«The Dark Knight»
«Iron Man»
«Slumdog Millionaire»
«WALL•E»
«Wanted»
Achievement in sound mixing
«The Curious Case of Benjamin Button»
«The Dark Knight»
«Slumdog Millionaire»
«WALL•E»
«Wanted»
Die Tonkategorien sind immer eine knifflige Angelegenheit, besonders weil die Mitglieder der Academy völlig überfordert sind. Daher gilt die Regel, der lauteste Film gewinnt. Das war letztes Jahr «The Bourne Ultimatum», dieses Jahr «The Dark Knight».
Achievement in visual effects
«The Curious Case of Benjamin Button»
«The Dark Knight»
«Iron Man»
Die Gurus of Gold sehen «Iron Man» auf dem letzten Platz. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Eisenmann abstauben wird. «The Dark Knight» hat ganz klar die besten Stunts, doch dafür gibt es keine Auszeichnung. Geht die Trophäe also doch an «The Curious Case of Benjamin Button»?
Das ergibt nun also sieben Auszeichnungen für «Slumdog Millionaire», drei bzw. zwei Trostpreise für die unendlich besseren «The Dark Knight» und «The Curious Case of Benjamin Button», sowie zwei für «Milk» und je einen für «WALL•E», «The Reader», «Doubt», «The Duchess» und «Iron Man». Über viele Überraschungen würde ich mich sehr freuen. Vielleicht räumt ja trotzdem «The Curious Case of Benjamin Button» ab und «WALL•E» erhält doch noch eine oder beide der Musik-Auszeichnungen von «Slumdog Millionaire».
Best foreign language film of the year
«Der Baader-Meinhof-Complex»
«Entre les murs»
«Departures»
«Revanche»
«Waltz with Bashir»
Ein künstlerisch anspruchsvoller Film, der kritisch einen Konflikt im Nahen Osten behandelt? Muss doch der ganz klare Favorit sein.
Best documentary feature
«The Betrayal» («Nerakhoon»)
«Encounters at the End of the World»
«The Garden»
«Man on Wire»
«Trouble the Water»
Nun kommen die ganz komplizierten Kategorien, die für gewöhnlich als Entscheidung bei Unentschieden zum Zug kommen. Bei den Dokumentarfilmen wird «Man on Wire» ganz heiss gehandelt.
Best documentary short subject
«The Conscience of Nhem En»
«The Final Inch»
«Smile Pinki»
«The Witness – From the Balcony of Room 306»
Würfel, würfel.
Best animated short film
«La Maison en petits cubes»
«Lavatory – Lovestory»
«Oktapodi»
«Presto»
«This Way Up»
Davon habe ich immerhin schon zwei gesehen. Aber hier tippe ich auch blind.
Best live action short film
«Auf der Strecke» von Reto Caffi
«Manon on the Asphalt»
«New Boy»
«The Pig»
«Spielzeugland»
Hopp Schwiiz! Soll ich jetzt auf den SZU-Film tippen und dann enttäuscht sein, falls er nicht gewinnt. Ganz bestimmt nicht.
Kudos für die genaue Vorhersage und besten Dankfür den Hinweis auf meinen «Creative-Writing-Kurs». Selbst der Autorenpreis hat Beaufoy nun erhalten, da läuft also irgendwas schief.
Schön, dass du auch Benjamin Button wesentlich besser findest.
Ich persönlich kann Slumdog gar nicht leiden, und finde ihn absolut überbewertet – ich denke, dass alle gängigen (Durchschnitts-) Prognosen nicht unbedingt Recht behalten werden…und hoffe auf die Eigenwilligkeit
der Jury. “Überraschungen” wird es einige geben. Vor allem beI Regie und
Bester Film des Jahres, denn ein “Crowdpleaser” wie Slumdog, ein gefälliger Kitsch-Allerwelts-Film macht noch lange nicht automatisch den Abräumer.
Vor allem wäre es einer der schlechtesten “Besten Filme” aller Zeiten.
Ich kann nur soviel sagen: Denkt an Brokeback Mountain oder Aviator…
Der höchst avancierte Film gewinnt manchmal auch nicht, so wird es auch dieses Jahr kommen – denn Emotionen und Aussage zählen, da helfen keine Schnitte am Fließband von bunten Bildern und wilden, wilkürlich-gradigen Kameraeinstellungen – von erstem hat Slumdog nur Flachland,
von letzterem flutet es.
“Slamdunk”-Millionaire gewinnt nicht mehr als 3 Oscars, und keinen einzigen von den Großen, so wird es kommen.
It is written.
Ansonsten kann man die Oscars nicht mehr als Gradmaß sehen, falls
man das überhaupt noch kann.
Hi Thomas, ich habe mal die bei mir im Blog bisher aufgeschlagenen Tipps in einer Google-Tabelle zusammengefasst. Bitte melden, falls ich dort was falsch notiert haben sollte.