Hoch oben über den grauen Häuserschluchten, auf dem Dach eines Hochhauses, da steht ein idyllisches kleines Chalet mit hübschem Garten. Um 19 Uhr beginnt für den Bewohner der Arbeitstag. Es ist ein Bär, der langsam das Haus in Betrieb nimmt. Auf dem Boden der Realität geht derweil der Tag zu Ende und einsame Gestalten schleichen durch die unheimliche Stadt. Während die Türen geschlossen werden, bleiben einige draussen, müssen sich einen Platz suchen, auf einer Bank oder unter einem Karton.
Doch der Scheinwerfer des Bären findet die Ausgeschlossenen, lockt sie in sein Haus, dem Rückzugsort für die kuriosen Figuren. Er kocht für sie, wäscht ihre Kleider. Und sie beginnen von ihrem Leben zu erzählen. Der Junge, dessen Eltern ständig streiten. Der ehemalige Unternehmer, der nicht nur Firma, sondern auch seine Familie verloren hat. Die Drogensüchtige, die immer tiefer in ihre Abhängigkeit stürzte. Der Bastler, der sich seine eigenen Erfindungen baut. Sie alle finden Schutz und eine warme Mahlzeit im Haus des Bären. Bis der Tag wieder anbricht.
Nach dem teuren Stop-Motion-Film «Max & Co» und dem sehr kurzen Streich «La fondue crée la bonne humeur» haben sich die Brüder Sam und Fred Guillaume mit ihrem 21-minütigen Animationsfilm «La nuit de l’ours» auf ein neues Feld begeben. Der Film ist zum 20-Jahr-Jubiläum der Notschlafstelle La tuile in Fribourg entstanden. Die Stimmen der Figuren stammen von Menschen, die eine Nacht dort verbracht haben. Die Wirklichkeit dringt dadurch in diesem Animationsfilm ein. «La nuit de l’ours» steht somit in der neuen Tradition von Filmen wie «Waltz with Bashir» von Ari Folman oder auch «Chrigi» von Anja Kofmel, welche die Genres Animation und Dokumentation vermischen.
Für «La nuit de l’ours» hat sich diese Möglichkeit aufgedrängt, weil dadurch die porträtierten Personen anonym auftreten können. Einfühlsam haben Sam und Fred Guillaume die realen Aussagen in die Szenen eingebaut. Der Animationsfilm lebt dann auch von einem leicht verfremdeten Naturalismus. Neben hand- und computer-animierten Elementen enthält er nämlich zahlreiche Fotos von wirklichen Gegenständen. Durch dieses Zusammenfügen von unterschiedlichen Methoden erhält der Film den Charakter einer munteren Collage. Geprägt ist «La nuit de L’ours» aber auch von einer verträumten und teilweise bedrohlichen Atmosphäre. Obschon als Vorlage für die meisten Gegenstände Fotografien verwendet wurden, lassen sich in der Gestaltung des Films durch die schiefen Gebäude die verunsicherte Gefühlslage und die labile soziale Situation der Figuren erkennen.
Am Animationsfilmfilmfestival Fantoche in Baden wurde das in jeder Hinsicht vielschichtige Werk im Schweizer Wettbewerb nicht nur mit dem Preis der Jury, sondern auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Bewertung:
(Bilder: © Etilem)