I just love to ride my bike.
In den 1990er-Jahren verfolgte ich begeistert, wie sich Miguel Indurain, Jan Ullrich, Tony Rominger und Alex Zülle heldenhaft auf die Alpe d’Huez, nach Courchevel und Sestrières und durch die Pyrenäen kämpften. Doch dann kam es zu immer mehr Dopingskandalen im Radrennsport und die Faszination liess nach. Selbst als danach Lance Armstrong alle Rekorde brach und sein ausgestandener Sieg gegen Hodenkrebs für zusätzliche Bewunderung hätte sorgen können. Wieso es aber eben für die Jahre 1999 bis 2005 keinen offiziellen Gewinner der Tour de France gibt, erzählt Regisseur Stephen Frears im Sportlerdrama «The Program», das am Zurich Film Festival ausser Konkurrenz gezeigt wird.
Bei einem Strassenrennen in Belgien ist auch Lance Armstrong (Ben Foster) am Start. Dort trifft er auf Johan Bruyneel (Denis Ménochet), der ihm erklärt, wieso er das Rennen nicht gewinnen wird. Die Fahrer des einen Teams haben mehr Blutkörperchen und können deshalb mehr Leistung abrufen. Bei deren Mannschaftsarzt Michele Ferrari (Guillaume Canet) erkundigt sich Armstrong nach leistungssteigernden Medikamenten und erhält die gewünschte Auskunft. Erythropoetin oder kurz Epo fördert die Bildung von roten Blutkörperchen und ist in der Schweiz frei erhältlich. Im nächsten Jahr setzt auch Armstrong das Mittel ein und ist schon fast konkurrenzfähig. Doch dann wirft in die Diagnose Hodenkrebs vorläufig aus der Bahn.
Nach Hodenentfernung und Chemotherapie kehrt Armstrong mit einem neuen Team in den Radsport zurück. Sportlicher Leiter von US Postal ist Bruyneel, und Ferrari trägt sein Wissen zum Erfolg bei. So schliesst Lance Armstrong sieben Austragungen der Tour de France in Folge auf dem 1. Platz ab, ohne auch nur einmal in einer Dopingkontrolle hängen zu bleiben. Zweifel an der Sauberkeit des Texaners tauchen jedoch immer wieder auf. Insbesondere der irische Sportjournalist David Walsh (Chris O’Dowd) wagt es immer wieder, seine Vorbehalte öffentlich zu machen. Dabei riskiert er nicht nur Gerichtsklagen wegen Verleumdung, sondern auch die Ächtung durch seine eigenen Berufskollegen, die davon leben, dass der Radrennsport die Skandale hinter sich lassen kann.
Regisseur Stephen Frears («High Fidelity») inszeniert das Drama über den Aufstieg und den sehr tiefen Fall eines scheinbar vorbildhaften Athleten rasant und schwungvoll. Das Drehbuch von John Hodge deckt dabei alle Facetten des gefallenen Helden ab. Denn obschon Armstrong durch seine Lügen und den Druck, den er auf mögliche Informanten ausgeübt hat, eigentlich ein verabscheuungswürdiger Mensch ist, so ist sein Handeln aus seiner eigenen Logik durchwegs verständlich. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass die meisten Fahrer an der Tour de France illegale Substanzen und Methoden zur Leistungssteigerung anwenden. Wer in einem solchen Umfeld gewinnen möchte, muss die selben Methoden anwenden, um die gleichen Ausgangsbedingungen zu haben. Davon profitieren letztlich alle. Zumindest alle, die nicht daran sterben, wie etwa Marco Pantani.
Für das Publikum macht es letztlich keinen Unterschied, ob kein Fahrer oder eben alle Fahrer gedopt sind. Wer es dann wagt, die wissenschaftlichen Experimente an den Athleten offenzulegen, der schadet nur dem Ruf des Sports und ist in diesem Sinne ein Verräter. Das Vorgehen von Lance Armstrong und seinen Kollegen ist also durchaus nachvollziehbar. Zudem ist Armstrong durch seinen Kampf gegen den Krebs, den er nach seiner Heilung durch eine Stiftung unterstützte eine Lichtgestalt, die dadurch noch viel zwispältiger erscheint. «The Program» nimmt dann auch keine Position ein, sondern zeigt lediglich, wie sich die Geschichte entwickelt hat. Es ist zwar selbstverständlich, dass die Methoden von US Postal gegen die Regeln verstossen, doch ebenso selbstverständlich hängen die Radfahrer nach der Etappe an ihren Infusionen oder lassen vor der Dopingkontrolle noch ein wenig Blutplasma einlaufen, um den Hämatokrit-Wert zu senken.
Die überhebliche Selbstverständlichkeit von Ferrari und Armstrong ist immer wieder entlarvend. Nach einem Referat über Erythropoetin erkundigt sich zum Beispiel Ferrari über den möglichen Einsatz im Sport. Ob das nicht unethisch sei, erkundigt sich die Referentin, woraufhin Ferrari nur lachend den Kopf schütteln kann. Und Armstrong und seine Kollegen diskutieren immer wieder darüber, wie das Leben des Radsportlers einmal von Hollywood verfilmt werden soll. Wer ihn denn spielen wird? Matt Damon. Besser nicht. Jake Gyllenhaal. Ja, der sass schon in «Donnie Darko» auf einem Fahrrad. Das Hollywood nun diesen Film über Lance Armstrong gedreht, hat er selber zu verantworten. Doch wirklich belastend ist «The Program» eben auch nicht. Vielmehr wird aus Armstrong ein tragischer Held, der letztlich bei Oprah Winfrey kleinlaut seine Sünden gestehen wird. Womit irgendwie auch wieder der Kreis zum Zurich Film Festival geschlossen ist, wo es 2013 zum ominösen Täschligate kam.
Fazit: «The Program» ist ein kurzweiliges und faszinierendes Psychogramm eines leidenschaftlichen Sportlers, der an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert ist.
Bewertung:
(Bild: © Impuls Pictures AG)