And we could look at many other examples, if we wanted to, but they would all work in the same way.
Wie fühlt sich durchschnittliches Glück an? Eine komplexe Frage, die sich mit Bestimmtheit grafisch darstellen lässt. Das lässt zumindest Animationsfilmerin Maja Gehrig in ihrem spektakulärem Kurzfilm «Average Happiness» erahnen. Elektronische Musik und rosafarbene Balken bilden den Einstieg. Dann ertönt die Stimme von Chris Brooks, Professor für Finanzen: «The first thing we should do is to plot the data in a scatter plot.» Im angesprochenen Streudiagramm «The U-shape in age in life satisfaction in Europe, 1973-2009» sollen lineare Beziehungen dargestellt werden, die vielleicht nicht auf einer geraden Linie verlaufen.
Doch dann entwickeln die Strukturen ein Eigenleben. Zu verfremdetem Chorgesang befreien sich die Linien und entführen in eine Welt aus Grafiken und Zahlen. Säulendiagramme erzeugen den Eindruck von Hochhäusern, die Kurvendiagramme dazwischen bilden Bergprofile. Kuchendiagramme steigen wie Seifenblasen auf, die Säulendiagramme geraten in Bewegung wie Kurbelwellen in einer Maschine. Aus einem Flächendiagramm der World Energy Production schieben sich die einzelnen Energieträger wie Schnecken aus ihrer vertrauten Umgebung in die Zukunft, bis sich nur noch Nuklearenergie und Photovoltaik ein Rennen liefern.
Unser Diagramm-Experte meldet sich wieder zu Wort, erklärt stotternd den «random disturbance term». Dazu tanzen Kuchendiagramme. Die Grafiken übernehmen wieder die Kontrolle. Zahlen, Begriffe und Balken fahren, schweben, wachsen. Auf der Tonspur sind ein Pfeifsignal, Presslufthammer und Strassenlärm zu hören. Alterspyramiden bewegen sich zu einem aufgeregten Stimmengewirr bis sie zu grünen Tannen erstarren. Ein Specht klopft, Vögel zwitschern. Nach der kurzen Ruhepause wird die Diagrammflut immer ekstatischer, bis sie sich orgiastisch über die Leinwand ergiesst.
Formal und inhaltlich findet Maja Gehrig in ihren Animationsfilmen immer wieder einen neuen Stil. Mit «Average Happiness» bewegt sie sich weit weg von der düsteren Stop-Motion in «Une nuit blanche» (2005) oder der verspielten Zeichenanimation in «Königin Po» (2015). Berührungspunkte gibt es noch am ehesten mit dem Liebestanz zweiter Holzpuppen in «Amourette» (2009). Neben der nüchternen Stimme des Finanzprofessors bieten die abstrakten Assoziationen auf der Bildebene nämlich ein sinnliches Erlebnis, das durch die Überfülle an visuellen Reizen immer wieder neue Bedeutungshorizonte eröffnet. Passend dazu erinnert die Musik von Joy Frempong zuweilen an die hypnotischen Klänge von Philip Glass aus «Koyaanisqatsi» (US 1982). Mehr als durchschnittliches Glück dürfte bei Gehrig die Auszeichnung von «Average Happiness» mit dem Schweizer Filmpreis für den Besten Animationsfilm ausgelöst haben.
Bewertung:
(Bilder: © 2019 Gehrigtrick & Sohn)