«L’homme jetée» von Loïc Hobi

Tu as le temps.

Militärischer Kurzhaarschnitt, nackter Oberkörper. Und eine Plastiktüte über dem Kopf. So bereitet sich der junge Hafenarbeiter Theo (Hubert Girard) auf sein Ziel vor: das Initiationsritual der Seemänner. Diese verlangen starke Männer auf ihren Schiffen und unterwerfen mögliche Anwärter einer harten Probe. «Ok? Tu cries, tu dégages,» erklären sie einem Kandidaten, bevor sie ihn mit Schlägen traktieren. Wer schreit, muss abhauen.

Später beobachtet Theo, wie einige Seeleute mit Steinen nach einem toten Fisch werfen. Ein Stein schlägt neben ihm auf. Verstohlen tauscht Theo Blicke mit Giuseppe (Youssouf Abi-Ayad) aus. Der ist in diesem Hafen gefangen, bis die Turbine seines Containerschiffs repariert ist. Im Hafen, der nach Einsamkeit stinkt, weil niemand da ist. Niemand ausser Theo, der ebenfalls weg möchte. Der Wunsch von Theo ist für Giuseppe unverständlich. In trostlosen Worten beschreibt er das Leben auf See. Er erzählt von tausenden von Männern, die sich in Maschinenräumen quälen und den Horizont zu sehen versuchen, den sie nie erreichen werden.

In seinem poetischen Kurzfilm «L’homme jetée» erzählt Loïc Hobi die melancholische Geschichte von zwei Männern, die in einem Schwebezustand zwischen Einsamkeit und Sehnsucht gefangen sind. Dabei wird ihre Männlichkeit und ihr Zugehörigkeitsgefühl auf die Probe gestellt. Der ständige Konflikt führt zu Verzweiflung und Frust, so dass selbst im Stroboskop-Licht auf der Tanzfläche einer Disco die ausgelassene Stimmung immer wieder zu kämpferischen Konfrontationen führt.

Ästhetik und Thematik von «L’homme jetée» erinnert an «Beau Travail» (F 1999) von Claire Denis. Auch dort dreht sich alles um die Definition von Männlichkeit und das Verlangen nach Aufnahme in eine bestimmte Gruppe. Eine Begierde, die sogar bis in den blutigen Kampf verfolgt wird. Das Bild der Männer wird in beiden Werken von den gleichen hageren und dennoch muskulösen Gestalten geprägt. Hinter den verborgenen Gefühlen verbirgt sich die Lust nach der gemeinsamen Flucht aus dem öden Alltag.

Der Hafen als Ort der Passage unterstreicht in «L’homme jetée» das Ambiente der Handlung und bestimmt die Wahrnehmung. Die tristen Tage tauchen die Szenerie in ein bläuliches, ausgewaschenes Licht. Die Nacht ist dafür von undurchdringlicher Finsternis geprägt, die von den rhythmisch wiederkehrenden, gleissend blendenden Strahlen des Leuchtturms und den flirrenden Disco-Lichtern durchbrochen wird. Der Film schwelgt in diesen reizvollen visuellen Kontrasten. In den sehnsüchtigen Synthesizer-Klängen von Nihilore hat Loïc Hobi die passende Musik dazu gefunden.

Bewertung: 5 Sterne

(Bilder: © 2019 Tell me the Story SA)

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