«Gigi» von Vincente Minnelli (Blu-ray)

Es gibt genau drei Filme, die mit allen Oscars ausgezeichnet wurden, für die sie nominiert waren. Vor «The Lord of the Rings: The Return of the King» (11 Oscars) und «The Last Emperor» (9) fiel diese Ehre 1959 erstmals dem Musical «Gigi» (9) zu. Da Vincente Minnelli («An American in Paris», «The Band Wagon») Regie führte, die Musik von Alan Jay Lerner und Frederick Loewe («My Fair Lady») stammt und ich gerne Musicals sehe, bin ich davon ausgegangen, dass «Gigi» wunderbar sein muss. Da habe ich mich enorm getäuscht. Die Blu-ray-Disc ist dennoch eingeschränkt empfehlenswert.

Die Geschichte von «Gigi» behandelt ein für die Entstehungszeit in Hollywood äusserst heikles Thema. In Zentrum steht nämlich ein junges Mädchen, dass von ihrer Grossmutter und Grosstante zu einer Coquette erzogen wird. Was genau unter diesem Begriff zu verstehen ist, lässt sich diskutieren. Auf jeden Fall soll sie ihren Lebensunterhalt durch ihre Wirkung auf die Männer bestreiten. Sie ist aber ungestüm und lächelt sich ausgerechnet einen Freund der Familie an (den sich ab und zu auch «Onkel» nennt).

Diese etwas andere Erziehungsgeschichte wurde nun also von Texter Lerner und Komponist Loewe mit Musik ausgestattet. Da sie zuvor schon die Musik für «My Fair Lady» schrieben, erstaunt es nicht wirklich, dass die Pariser Geschichte der Verwandlung eines jungen Mädchens in eine begehrenswerte Frau an das britische Blumenmädchen erinnert. Manche Liedtexte sind zwar durchaus amüsant verspielt, aber auch bei ihnen und nicht nur bei vielen Melodien stellt sich ab und zu ein Déjà-entendu ein.

Wenn zudem Maurice Chevalier schon zur Eröffnung «Thank heaven for little girls» singt und dabei ein kleines Mädchen «of 5 or 6 or 7» anlächelt, dann schimmert da irgendwie mehr als nur ein Hauch von Pädophilie durch. Schliesslich ist Gigi in der Vorlage von Colette noch keine 16 Jahre alt. Daher würde ich in der Bemerkung von Historikerin Jeanine Basinger auf dem Audiokommentar («the lyrics could be problematic») das «could be» durch «are» ersetzen. Da spielt es nicht wirklich eine Rolle, ob es sich um ein Märchen handelt.

Abgesehen von diesen inhaltlichen Bedenken, überzeugt «Gigi» auch sonst nur wenig. Die Titelrolle spielt die charmante Leslie Caron, die sich in «An American in Paris» als begnadete, höchst geschmeidige Tänzerin beweisen durfte. In «Gigi» bewegen sich die Protagonisten jedoch kaum einmal zur Musik. Minnelli setzt vielmehr auf die farbige Pracht der Ausstattung und Kostüme von Cecil Beaton. Dieses Element kommt dann zumindest tadellos auf der Blu-ray-Disc zur Geltung. Die Bildqualität gibt die Farben sehr lebendig wieder.

Auch das Bonusmaterial ist vorzüglich. Da ist zuerst einmal ein zusätzlicher Film, nämlich die französische Fassung von «Gigi» (1949), in der die Geschichte als nüchternes, aber durch die gesellschaftlichen Unterschiede nicht humorloses Sozialdrama geschildert wird. In diesem Fall ist die Bildqualität zwar mangelhaft, aber dennoch lässt sich erkennen, dass die Hollywood-Version sich sehr eng an die filmische Vorlage hält. In diesem Zusammenhang erhält eine Zeile aus dem Musical eine ganz neue Bedeutung. Gigi erzählt ihrer Tante, dass sie in der Schule Englisch lernt. Die erwidert entsetzt: «English? I suppose we must. They refuse to learn French.»

In einer 35-minütigen Dokumentation überstürzen die Experten das letzte grosse Musical von Minnelli mit Lob. Neun Oscars geben ihnen dabei natürlich recht. Der Kurzfilm «The Million Dollar Nickel» ist ein witziges Zeitdokument, in dem das Verfassen von Briefen als Mittel gegen den Kommunismus empfohlen wird. Neben Ricardo Montalban und Zsa Zsa Gabor ruft auch Caron ihre Sprachgenossen zu dieser Propaganda auf. Zudem jagen sich Tom und Jerry in «The Vanishing Duck», und dann ist da noch der bereits erwähnte Audiokommentar, in dem Basinger etwa Chevalier als Frauenheld bezeichnet – natürlich nur im besten Sinne des Wortes.

Fazit: Der Film ist zwar mangelhaft, die Blu-ray-Disc aber trotzdem lohnenswert.

Notiz: Die ebenfalls eben erst erschienene «Special Edition» mit identischen Extras kam offensichtlich in so kleiner Auflage auf den Markt, dass sie bereits ausverkauft sei. Dafür soll neben der Blu-ray-Disc noch die «Edition Bester Film» (ohne Extras) von 2007 erhältlich sein.

Film: 2 Sterne
Bildqualität (Blu-ray): 6 Sterne
Tonqualität (Blu-ray): 5 Sterne
Bonusmaterial (Blu-ray): 5 Sterne

(Bild: ©Warner Bros.)

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2 comments

  1. Sorry – das Fazit passt nicht. Einen #mangelhaften# Film kauf ich nicht. Auch nicht in HD und mit tollem Bonusmaterial.

  2. Das Fazit habe ich angefügt, weil es eben nicht wirklich passt. Ich bereue es tatsächlich ein wenig, die Blu-ray-Disc gekauft zu haben. Aber die Qualität (Bild und Bonus) muss dennoch gelobt werden. Und weil ich auch ein Historiker bin, hat mich der Kurzfilm «The Million Dollar Nickel» ein wenig entschädigt. Das Fazit soll diese Zwiespältigkeit ausdrücken.

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