[Erschienen am 2. August 2007, 14.10] Das holländische Drama «Tussenstand» (der Titel heisst übersetzt in etwa «Zwischenstand») eröffnete heute in Locarno den Wettbewerb der «Cinéastes du présent». Als Zeitvertreib dringt der 17-jährige Isaac (Stijn Koomen) in fremde Wohnungen ein, um dort in den Sachen der abwesenden Bewohner herumzuschnüffeln. In der Wohnung seiner geschiedenen Mutter verbarrikadiert er sich dafür dauernd in seinem Zimmer, hört Musik und poliert sein Samurai-Schwert.
Besorgt berichtet Mutter Roos (Elsie de Brauw) ihrem Ex-Mann Martin (Marcel Musters) vom sonderbaren Verhalten ihres Sohnes. Dabei bricht ein Streit zwischen den beiden aus, und es hagelt Vorwürfe; das Verhältnis von Roos und Martin hat sich seit der Scheidung kein wenig verändert. Sie soll ihrem Sohn doch einfach die Freiheit lassen, die sie auch ihm nie gewährt hat, meint der Vater nur.
In der Folge bricht Isaac in weitere Wohnungen ein oder verweigert sich dem Gespräch mit der Mutter, die nicht nur bei Martin, sondern auch bei anderen Verwandten und Bekannten nach Rat und Kommunikation sucht. Der Vater möchte derweil ein Buch über das seltsame Phänomen «Hikimori» schreiben, über japanische Jugendliche die sich von der Gesellschaft zurückziehen.
Einfühlsam schildert Regisseurin Mijke de Jong die Verhältnisse in einer zersplitteten Familie, deren Mitglieder nirgendwo Geborgenheit finden können. Die streitsamen Eltern werden mit verwackelter Handkamera und hektischen Zooms aufgenommen, der sich isolierende Sohn dafür in meditativ ruhigen Bildern. Formal ist der Film herausfordernd, inhaltlich bieten sich hingegen reichlich Identifikationsfiguren und bekannte Verhaltensmuster, die hauptsächlich negativ bewertet werden.
Die Regisseurin wollte gemäss Kommentar im Katalog einen Film realisieren, «in dem Dialoge nebensächlich sind. Dessen Sinn ausserhalb der Worte liegt und in dem Sätze unvollendet bleiben – wie im richtigen Leben.» Die Gespräche in «Tussenstand» wirken nun tatsächlich wie aus dem Leben gegriffen, erwecken zwischendurch aber auch den Eindruck von aus dem Ruder geratenen Improvisationen. Das Aneinandervorbeireden ist den Darstellern der Eltern tatsächlich eindrücklich gelungen, und auch Stijn Koomen erfüllt die Rolle des schweigsamen Sohnes überzeugend.
Fazit: «Tussenstand» ist ein sehr intimer Film, der dem Publikum viel Geduld abverlangt.
Bewertung: