Bevor Terry Gilliam am Montagabend im ausverkauften Corso 1 vom Publikum für «The Imaginarium of Doctor Parnassus» gefeiert wurde, gab er am Morgen den Teilnehmern der Zurich Master Class Auskunft über seine Karriere. Zur Einführung berichtete Christine von Fragstein, die Leiterin der Master Class, dass Gilliam das Frühstück im Luxushotel Baur au Lac im Flur einnehmen musste, weil er den Dress Code nicht erfüllte. Danach zeigte sich Gilliam für 90 Minuten, wie aus den Dokumentarfilmen über ihn und den Drehberichten zu seinen Filmen, als eloquenter und (selbst-)ironischer Erzähler.
Das Gespräch mit Gilliam führte der britische Filmpublizist Peter Cowie, der sich zuerst nach den Einflüssen auf Gilliam erkundete. Ein einschneidendes Erlebnis sei eine Vorführung von «Paths of Glory» von Stanley Kubrick gewesen. Damals entdeckte Gilliam, dass Filme gesellschaftlich bedeutende Themen aufgreifen und behandeln können. Filme haben ihn aber auch sonst beeinflusst. So habe eine Szene aus «Darling», in der Dirk Bogarde und Julie Christie im Cabriolet um den Trafalgar Square fahren, dazu beigetragen, dass Gilliam in London leben wollte.
Danach wandte er sich konkreteren Themen zu, zunächst der Bedeutung von Storyboards bei der Entstehung von seinen Filmen. Gilliam betonte, dass die gezeichneten Entwürfe für die Aufnahmen als wichtige Quellen für Ideen dienen. Nachher müsse er dann wieder das Drehbuch umschreiben. Früher sei er jeweils frustriert gewesen, wenn die Realität der Aufnahme nicht mit den Storyboards übereingestimmt habe. Heute gehe er die Sache entspannter an.
Auf die Beziehung zu den Studios angesprochen, meinte Gilliam, dass er selbst in Hollywood nie Probleme hatte, seine Überzeugungen durchzusetzen: «None of them are passionate enough to fight for their beliefs.» Da die Produzenten und Studiobosse zu wenig leidenschaftlich für ihre Ansichten kämpfen, habe er immer gesiegt. Er sei sowieso die einzige Person, die ihn kontrollieren könne. Bei einem Projekt wie «Twelve Monkeys» sei es vor allem wichtig gewesen, dass er Bruce Willis und Brad Pitt von seiner Position überzeugen konnte.
Danach gefragt, ob er seine Karriere geplant habe, meinte er zuerst nur lachend: «I never had a career!» Er habe sich immer zwei Sachen vorgenommen: Nie für Geld zu arbeiten und nur Projekte zu realisieren, über die er die Kontrolle hat. Dazu brauche es aber eine Menge Geduld. Er denke nicht über die Vergangenheit oder die Zukunft nach, sondern versucht die Arbeit an den gegenwärtigen Projekten zu geniessen. Zudem habe er vom «Python Pension Fund» profitiert, den Tantiemen für die Fernsehserie «Monty Python’s Flying Circus», die es ihm auch erlaubt haben, einmal ein Jahr nicht zu arbeiten.
Als Cowie auf die absurden, surrealen Elemente in seinen Filmen zu sprechen kam, meinte Gilliam, dass er nur die Welt so filme, wie er sie sieht: «I’m actually a documentary filmmaker.» Er sei in Wirklichkeit ein Dokumentarfilmer. Er erlaube sich, Fenster auf verschiedene Sichten der Welt zu öffnen. In den 60er-Jahren habe er daher auch Angst gehabt, halluzinogene Drogen zu nehmen, da er bereits ohne Acid das sah, was die anderen auf ihren Trips beschrieben. Inspirationen für seine Filme sammelt er im Alltag und hat in seinem Schreibtisch eine Schublade, in der er Zeitungsausschnitte und andere Notizen steckt.
Gilliam ging auch auf die Unterschiede zwischen der Produktion von Filmen in den USA und in Europa ein. In Hollywood werde «fascist filmmaking» gepflegt. Die Arbeiter erwarten eine hierarchische Ordnung und einen Anführer, der ihnen Anweisungen gibt, was sie zu tun haben. Sie wollen nicht denken. Diese Arbeitsweise entspricht überhaupt nicht seinen Vorstellungen. Auf seinen Sets müssen alle Abteilungen offene Türen haben. Zudem wolle er Spass haben und arbeite aus diesem Grund auch nur ungern mit Method Actors zusammen.
Eine Frage nach unvorhergesehenen Ereignissen bei Dreharbeiten führte dann auch zum unerwarteten Tod von Heath Ledger. Gilliam erklärte, dass er so viel wie möglich plane, sich davon aber nicht einschränken lasse. Als in der Mitte der Dreharbeiten zu «The Imaginarium of Doctor Parnassus» sein Hauptdarsteller gestorben ist, habe er bereit aufgegeben. Doch seine Tochter Amy, die mitproduziert hat, und Kameramann Nicola Pecorini haben ihn dazu angetrieben, den Film für Ledger zu beenden: «Everybody was determined to make Heath’s last film a good film.»
Dann kam er auch noch auf ein Thema zu sprechen, das vor allem am Abend nach der Vorführung von «Parnassus» für Begeisterung sorgte. Gilliam hat nun nämlich endlich wieder die Rechte an «The Man Who Killed Don Quixote», ein Projekt, dessen Scheitern im Dokumentarfilm «Lost in La Mancha» geschildert wurde. In den letzten Monaten hat Gilliam das Drehbuch gründlich überarbeitet und an Schauspieler verschickt. Im Frühling 2010 möchte er dann mit den Dreharbeiten beginnen.
Was hat er sonst noch so erzählt? Er möchte, dass seine Filme Wunden hinterlassen. Sie sollen das Publikum zum Denken anregen: «I rather gamble on people being intelligent.» Er gehe davon aus, dass die Menschen intelligent sind, während Hollywood das Gegenteil mache. Und er schilderte eine Episode von den Dreharbeiten zu «The Adventures of Baron Munchausen». Beim Monolog von Ian Holm als Napoleon habe er ständig lachen müssen, so dass sein Assistent schliesslich die Anweisung geben musste: «Would the director please leave the set!» Die Bühne der Zurich Master Class hat Gilliam unter Applaus verlassen.
(Bilder: ©2009 filmsprung.ch/Thomas Hunziker)