Literaturverfilmungen sind immer heikel. Nicht nur für die Filmemacher, sondern auch für die Kritiker. Muss Kenntnis der der Vorlage vorausgesetzt werden? Auch vom Leser? Wenn dann etwa «Effi Briest» von Theodor Fontane umgesetzt wird, dann lauert da nicht nur der Roman, sondern auch gleich noch eine ausgezeichnete Adaptation von Rainer Werner Fassbinder (Prädikat: besonders wertvoll). Da ist es schon ziemlich mutig, wenn sich Drehbuchautor Volker Einrauch und Regisseurin Hermine Huntgeburth an diesen Stoff wagen. Da ihre Interpretation durchaus gelungen ist, darf das Vorhaben auch als verdienstvoll bezeichnet werden.
Bis vor einer Woche hatte ich noch überhaupt keinen Kontakt zu «Effi Briest». Im Gymnasium stand Theodor Fontane nicht auf der Lektüreliste. Da ich danach Anglistik und nicht Germanistik studierte, kam ich nur wegen der Filmwissenschaft beinahe mit der Verfilmung von Fassbinder in Berührung. Nach der Vorführung von Huntgeburths Version letzte Woche habe ich auch noch die Fassung von Fassbinder betrachtet und schliesslich noch den Roman gelesen. Erstaunt hat mich vor allem eine markante Ähnlichkeit der beiden Filme, die aber letztlich ganz Einfach auf die Nähe zum Ausgangsmaterial zurückzuführen ist.
Die Handlung ist in gewisser Weise vollkommen verstaubt, irgendwie aber auch sehr aktuell. Wenn heute ein alter Mann eine junge Frau heiratet, dann ist das ein Skandal oder Stoff für die Klatschblätter. Geschah das im 19. Jahrhundert, war es eine gute Partie. So auch im Fall der 16-jährigen Effi Briest (Julia Jentsch), die mit dem fast 20 Jahre älteren Baron von Innstetten (Sebastian Koch) verheiratet wird – einem früheren Verehrer ihrer Mutter (Juliane Köhler). Was die Mutter nicht erreicht hat, fällt nun der Tochter zu.
Doch für die wilde Effi beginnt nun ein eintöniges Leben fernab der Heimat: Innstetten widmet sich voll und ganz seiner politischen Karriere und das verschlafene Ostsee-Küstenstädtchen Kessin bietet wenig Abwechslung. Zudem schlägt eine Geistergeschichte der gelangweilten Effi auf das Gemüt. Immer stärker wird sie von Angst geplagt. Bis Major Crampas (Mišel Matičević) auftaucht, ein charmanter Frauenheld. Obschon auch er verheiratet ist, lässt sich Effi auf eine leidenschaftliche Affäre mit ihm ein.
Die gemischte Gefühlslage der jungen Braut lässt sich aus wenigen Zeilen aus Fontane wiedergeben. Besonders auf die emotionale Distanz des Gatten wird da immer wieder hingewiesen: «Innstetten war lieb und gut, aber ein Liebhaber war er nicht.» Als Effi dann bei ihren Eltern in Urlaub weilt, erlebte sie so glückliche Viertelstunden, da «war’s ihr ganz aus dem Sinn gekommen, überhaupt verheiratet zu sein.» Diese Stimmung wird in der Verfilmung von Huntgeburth sehr einfühlsam vermittelt.
Die Filmemacher straffen natürlich auch mehrere Stellen. Auf die Frage, ob sie Geert nicht liebe, folgt im Roman ein ganzer Abschnitt, in dem Effi ihre Gefühle rationalisiert: «Warum soll ich ihn nicht lieben? Ich liebe Hulda, und ich liebe Bertha, und ich liebe Hertha. […] Ich lieb alle, die’s gut mit mir meinen und gütig gegen mich sind und mich verwöhnen. [usw.]» Im Film wird die Textstelle treffend auf den Satz «Alle die lieb zu mir sind, die hab ich auch lieb» verkürzt.
Hält sich Fassbinder mit seinen Spiegelungen äusserst exakt, fast schon überstreng an die Vorlage und lässt den Text nicht nur durch eine Erzählstimme, sondern auch in Texttafeln den Verlauf bestimmen, nehmen sich Einrauch und Huntgeburth deutlich mehr Freiheiten, befreien «Effi Briest» sozusagen aus dem Korsett. Die Verfilmung von Fassbinder ist zwar unterkühlt, aber eine herausragende Auseinandersetzung mit dem Text. Einrauch und Huntgeburth gewinnen der Geschichte dafür neue Facetten ab. Das war auch das Ziel von Produzent Günter Rohrbach:
Die Amerikaner und insbesondere auch die Engländer machen es uns seit Jahren immer wieder vor, wie erfolgreich man mit den literarischen Klassikern umgehen kann (siehe z.B. ‘Sense and Sensibility’ oder ‘Pride and Prejudice’). Es gibt dafür ein grosses, aufgeschlossenes Publikum. Voraussetzung ist freilich, dass es gelingt, den Reiz einer historischen Situation, ihre Dekors und Kostüme, ihre einzigartige Aura mit dem Bewusstsein der Gegenwart zu vermählen.
Wie der Produzent weiter erklärt, «vibriert [das Buch] geradezu vor Sexualität, aber der Text gibt sie nicht preis, versteckt sie in bedrohlichen Bildern, angstmachenden Halluzinationen.» Die Erotik ist bei Fontane tatsächlich sehr tief zwischen den Zeilen versteckt. Aber wenn schon Julia Jentsch vor der Kamera steht, dann soll sie sich gefälligst ausziehen. Das dient dem Film nicht nur aus voyeuristischer Sicht. Die stürmische Beischlafszene führt auch zu der entlarvendsten Unterhaltung im ganzen Film.
Noch ganz ausser Atem nach dem ersten Orgasmus fragt Effi ganz verwirrt: «Dieses Gefühl? Ist das Liebe?» Abgeklärt erwidert Crampas: «Nein, das ist die Freiheit?» Diese Verwechslung von körperlicher und seelischer Liebe dringt auch aus dem Text von Fontane hervor und ist letztlich auch heute noch häufig anzutreffen. Ganz pragmatisch äussert sich Crampas von Huntgeburth zu diesem Thema: «Wenn wir unserem Körper nicht geben, was er braucht, schwächen wir unsere seelischen Kräfte.» In dieser modernen «Effi Briest» strahlen die 1968er auf das ausgehende 19. Jahrhundert zurück.
Die moderne «Effi Briest» entfernt sich hauptsächlich durch die Liebesszenen von der Vorlage, erlaubt sich aber auch ein optimistischeres Ende, das wiederum eher dem wirklichen Vorfall entspricht, den Fontane zu seinem Roman inspiriert hatte. Die Musik drängt sich zwar bisweilen zu stark in den Vordergrund, und die Kameraarbeit ist nicht ganz so stilsicher wie bei den britischen Vorbildern. Dafür strahlen die abbröckelnden Hausfassaden und die dreckigen Landstrassen einen authentischen Charme aus. Da zudem die Tonlage sehr gut getroffen wird, lohnt sich diese «Effi Briest» allemal.
Fazit: «Effi Briest» ist eine fruchtbare Auseinandersetzung mit der Vorlage, von der sich das sorgfältig ausgestattete Drama trotz etlichen Freiheiten nie allzu weit entfernt.
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