Im Programmheft des Festivals Black Movie in Genf wird der japanische Meisterregisseur Yasujiro Ozu zitiert: «Um ein Verlangen fürs Kino wieder zu erlernen, gibt es nur eine Lösung: sich gute Filme ansehen!» Meine Auswahl gestern konnte diese Forderung nicht wirklich erfüllen. Dennoch war der erste Tag ein Erlebnis.
Die ersten beiden Filme habe ich im Cinéma Spoutnik gesehen, ein Saal in einer zu einem Kulturzentrum umgewandelten Fabrik, eine Mischung aus Freier Film in Aarau und Xenix in Zürich. Die Sofas sind am Rand platziert, die Kinostühle in der Mitte lottrig, aber zumindest mit genügend Abstand für ausreichend Beinfreiheit aufgestellt. Der Mief von abgestandenem Rauch hängt auch am Tag danach noch in meinen Kleidern.
Wird an anderen Festivals fleissig das Publikum begrüsst und womöglich noch ein paar Worte über den Film gestottert, erspart sich das Black Movie diese Unnötigkeiten. Der Film kann ja für sich selbst sprechen. So mag ich es. Nun, der erste Film verzichtete beinahe vollkommen auf Sprache. In «The Rebirth» («Ai no yokan») spielt Regisseur und Drehbuchautor Masahiro Kobayashi einen Mann, dessen Tochter von einer Schulkollegin mit einem Messer ermordet wurde. Nun hat er sich in eine andere Stadt zurückgezogen, wo er in seiner Unterkunft auf die Mutter der Täterin trifft.
Die Ausgangslage wird in den ersten paar Minuten in Interviewform geschildert, danach konzentriert sich die Kamera ganz auf den eintönigen Alltag der beiden Hauptfiguren. Die Figuren sind in vollkommen stumme Trauerarbeit versunken. Sie arbeitet in der Küche der Unterkunft, wo er täglich seine Mahlzeiten einnimmt, bevor er seine Arbeit in einem Schmelzofen beginnt. Zwischendurch gibt es seltsame Annäherungsversuche, die von der Frau mehrmals mit Ohrfeigen abgeschlossen werden.
2007 wurde «The Rebirth» in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet. In den belanglosen Wiederholungen erkenne ich jedoch überhaupt keine Kunstfertigkeit. Das ist einfach als philosophische Betrachtung getarnte Einfallslosigkeit. Wer sich 100 Minuten das Bild des Hauptdarsteller anblickt, wird den Kern der Geschichte ebenfalls erlebt haben. Ich hege den Verdacht, dass die Jury in Locarno eingeschlafen ist und sich so darüber geschämt hat, dass sie den Hauptpreis an das Schlafmittel verlieh.
Alles andere als einfallslos und einschläfernd war dann der nachfolgende Film. Die 1977 entstandene Horrorkomödie «House» von Nobuhiko Obayashi wird im Programmheft als ein «Ufo von einem Film» angepriesen. Ein Schulmädchen lädt in den Ferien sechs Kolleginnen in das Haus ihrer Tante ein. Die Mädchen haben ihrem Charakter entsprechende Namen wie Fee, Fantasie, Melodie, Schülerin und Kungfu, die geheimnisvolle weisse Katze heisst Blanche.
Im Haus der Tante erwartet die fröhliche Gesellschaft dann schreckliche Erlebnis, die zunächst bloss als Einbildung von Fantasie gedeutet werden. Doch die an einen Rollstuhl gefesselte Tante hat tatsächlich finstere Absichten. Sie wartet nämlich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf ihren Verlobten und hat ein Mittel gefunden, um ewig jung zu bleiben. Die Mädchen erkennen aber viel zu spät, weshalb es Dorf keine jungen Frauen mehr gibt.
Die Spezialeffekte der Schauerszenen sind aus heutiger Sicht so kitschig, dass sie womöglich unfreiwillig komisch wirken. Ob einige davon trotzdem ihre Wirkung erzielen, liess sich gestern nicht wirklich beurteilen. Zwei bekiffte oder betrunkene Besucher brachen nämlich bei jeder Szene sofort in debiles Gelächter aus.
«House» ist sicherlich ein Lexikon der in den 70er-Jahren eingesetzten Spezialeffekte. Regisseur Obayashi setzt seine Mittel in völliger Extase ein, scheinbar ohne dabei wirklich auf die Wirkung zu achten. Wie dieser wilde Ritt ins Spukhaus vor 30 Jahren gewirkt hat, lässt sich jedoch nur schwer nachvollziehen. Es ist auch nicht klar ersichtlich, ob auschliesslich das vermutlich sehr tiefe Produktionsbudget einige seltsame Entscheidungen beeinflusste oder ob der künstliche Eindruck bewusst erzeugt wurde. Immerhin enthält der Streifen alle Zutaten für einen Kultfilm.