Save the best for last. Das gilt natürlich auch für Filmfestivals, obschon sich ein Abschluss auf dem Höhepunkt in keiner Weise planen lässt. Am Black Movie in Genf ist mir das aber wieder einmal gelungen. Zuerst habe ich jedoch noch einen Umweg über das neue «Cinéma vérité» der Philippinen genommen, dem hier in diesem Jahr ein Schwerpunkt gewidmet ist.
In «The Last Priestess of Buhi: The Woven Stories of the Other» («Ang Huling balyan ng buhi») schildert Sherad Anthony Sanchez in eintönigen Bildern den Alltag einiger seiner Landsleute. Er beobachtet Soldaten auf dem Land, die hauptsächlich faul herumliegen oder Karaoke singen. In den Bergen verstecken sich kommunistische Rebellen, denen von der Anführerin der Imperialismus, der korrupte Bürokratismus und der Feudalismus als Hauptfeinde des Volkes eingetrichtert wird. Erzählt wird die meditative Geschichte von der Priesterin des Dorfes, die über den Verlust der Traditionen jammert.
Was ist nun von diesem dokumentarisch angehauchten Werk aus den Philippinen zu halten? Da mir die Kultur zu fremd ist, wage ich kein Urteil abzugeben. Mich würde vor allem Wunder nehmen, wie ein solch bedächtiger Film von einem philippinischen Publikum aufgenommen wird. Erkennt es sich in den Figuren wieder oder ist es sich im Grunde auch schon eher an die Konventionen aus Hollywood gewöhnt?
Nach zwei ländlichen Filmen aus Südamerika gelangte ich dann in «Amorosa Soledad» («Liebevolle Einsamkeit/Soledad») von Martín Carranza und Victoria Galardi endlich ins urbane Argentinien. Hier liessen sich nicht nur ähnlich Lebens- und Erzählstrukturen, sondern auch vertraute Emotionen erkennen. Die Hauptfigur wird von der jungen Inés Efron gespielt, die auch im zuvor gezeigten, sehr verspielten Kurzfilm «Hoy no estoy» von Gustavo Taretto einen kurzen Auftritt hat. Vor ein paar Monaten war sie zudem in «XXY» in den Schweizer Kinos zu sehen.
Soladad ist soeben von ihrem Freund Nicólas verlassen worden. Nun entschliesst die hypochondrische Neurotikerin, sich für ein paar Jahre nicht mehr zu verlieben. Schliesslich hat sie auch sonst schon genug am Hals, muss sich um ihre verstopfte Toilette kümmern, in der Apotheke einen Blutdruckmesser aussuchen oder ihre Mutter zur Brustvergrösserung in die Klinik begleiten. Doch dann läuft sie einem anderen Nicólas über den Weg.
Als «exquisite Komödie» wird «Amorosa Soledad» im Programmheft angepriesen, doch Tragikomödie passt im Grunde besser als Beschreibung für diese zärtliche Charakterstudie. Der Humor ist sehr subtil und wunderbar einfühlsam. Fantastisch ist die zugleich schlacksige, wie auch graziöse Inés Efron, die zwar ruhig noch ein paar Pfund zulegen könnte, aber mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln selbst den dunkelsten Moment aufzuhellen vermag. Es würde mich nicht verwundern, wenn diese verführerische Geschichte den Publikumspreis gewinnen würde.
Bleiben noch ein paar abschliessende Kommentare zum Festival an sich. Ich habe nämlich ganz vergessen zu erwähnen, dass im CAC Voltaire das Publikum begrüsst wird. Am Samstag wurde dazu noch ein Mikrofon verwendet, am Sonntag brachten die Redner vergebens ihre Stimme unverstärkt zum Einsatz. «Plus fort,» rief das Publikum fordernd. Filmemacher sind ebenfalls anwesend, doch das Programm ist teilweise so dicht angesetzt, dass kaum Zeit bleibt, um sich mit ihnen zu unterhalten. Zur Auflockerung dürften ruhig auch schon Filme am Mittag gezeigt werden.
Für die Karten müsste auch noch eine bessere Lösung gefunden werden. Sogar wer einen Pass besitzt, muss sich an der Kasse vor jeder Vorstellung eine Platzkarte besorgen. Das ist mir persönlich viel zu mühsam, besonders wenn ich wie heute am Abreisetag auch noch mein Gepäck mitschleppe. Den früheren Zug habe ich dann aber trotzdem nicht erwischt. Zumindest lässt sich – und das ist ja die Hauptsache – an der Präsentation der Filme fast nichts aussetzen. Mal sehen, ob ich nächstes Jahr wieder nach Genf reisen werde.