I’m concerned you underestimate the gravity of coming events. You and I are bound together on a journey that will twist the very fabric of nature.
Ein brillanter Verstand und eine verletzliche Besessenheit. Das sind die beiden Haupteigenschaften von Sherlock Holmes, dem 1887 von Sir Arthur Conan Doyle erfundenen Privatdetektiv aus London. Eine explosive Mischung. Im Grunde genommen ist es eigenartig, dass diese populäre Figur so lange nicht mehr im Kino zu sehen war. Legendär ist vor allem Basil Rathbone, der in den 1940er-Jahren 14 Mal in die Rolle des Detektivs schlüpfte. In «Sherlock Holmes» lassen Regisseur Guy Ritchie und Hauptdarsteller Robert Downey Jr. die Figur als Actionheld für das 21. Jahrhundert wiederauferstehen.
Gleich zu Beginn verhindern Holmes (Robert Downey Jr., «Zodiac», «Iron Man») und sein treuer Assistent Dr. John Watson (Jude Law, «Gattaca») in letzter Minute, dass der düstere Lord Blackwood (Mark Strong, «Body of Lies») in einer magischen Zeremonie eine Frau ermordet. Da kann selbst der etwas dilettantische Inspector Lestrade (Eddie Marsan, «Happy-Go-Lucky») von Scotland Yard nur noch nachträglich gratulieren. Doch der Erfolg täuscht nicht darüber hinweg, dass die Beziehung zwischen Holmes und Watson nicht mehr allzu harmonisch ist. Watson beabsichtigt, aus dem Haus in 221b Baker Street auszuziehen. Holmes versinkt derweil in seinen Süchten.
Aus seiner wahnhaften Benommenheit wird Holmes erst von Watson und Blackwood gerissen. Der zum Tode verurteilte Lord wünscht, Holmes vor der Hinrichtung noch einmal zu sehen. Als der Detektiv im Gefängnis ankommt, liest Blackwood gerade seine Lieblingsstelle in der Bibel. Revelations 13:
1 And I stood upon the sand of the sea, and saw a beast rise up out of the sea, having seven heads and ten horns, and upon his horns ten crowns, and upon his heads the name of blasphemy. 2 And the beast which I saw was like unto a leopard, and his feet were as the feet of a bear, and his mouth as the mouth of a lion: and the dragon gave him his power, and his seat, and great authority. 3 And I saw one of his heads as it were wounded to death; and his deadly wound was healed: and all the world wondered after the beast. 4 And they worshipped the dragon which gave power unto the beast: and they worshipped the beast, saying, Who is like unto the beast? who is able to make war with him?
Wer aus der Offenbarung des Johannes (Schilderung der Apokalypse) zitiert, kann wohl nur wenig Gutes im Schilde führen. Blackwood macht eine unheimliche Prophezeiung, die Holmes aber nicht wirklich ernst nimmt. Schliesslich hängt Blackwood wenig später an einem Strick, und Watson stellt ordnungsgemäss den Tod fest. Holmes kann sich nun wieder mit anderen Dingen beschäftigen, etwa dem Auftrag, der ihm die verführerische Irene Adler (Rachel McAdams, «State of Play») erteilt, eine Hochstaplerin und ehemalige Geliebte von Holmes. Doch kurze Zeit danach ist die Gruft von Blackwood aufgebrochen und ein fremder Mann liegt in seinem Sarg. Ausgerechnet der Mann, der von Irene Adler gesucht wurde. Wie es so schön heisst und schon von Sherlock Holmes persönlich in «A Study in Scarlett» genüsslich geäussert wurde: «The plot thickens».
Basil Rathbone mag im letzten Jahrhundert die ideale Verkörperung des Privatdetektivs mit dem scharfen Verstand gewesen sein. Er analysierte sauber und verkleidete sich gerne. Sherlock Holmes in der Inkarnation von Guy Ritchie und Co. ist hingegen schon beinahe ein James Bond. Mit dem kleinen Unterschied, dass Holmes die vielen technischen Spielereien fehlen und er als Droge die Stimulation durch Kokain, Heroin und Morphium einem trockenen Martini vorzieht – egal ob geschüttelt oder gerührt. Diese Sucht wird im neuen Film allerdings nur angedeutet. Dafür zeigt sich Holmes als gewandter Boxer und – wie es sich gehört – aufmerksamer Beobachter, der gerne an seiner Violine herumzupft.
«Sherlock Holmes» mag nicht mehr viel mit «The Hound of the Baskervilles» und den übrigen Verfilmungen mit Basil Rathbone und Nigel Bruce gemein haben, doch irgendwie fühlt sich der Film von Guy Ritchie dennoch wie ein würdiger Vertreter an. Die Drehbuchautoren orientieren sich ganz klar an den Schilderungen von Arthur Conan Doyle (vier Romane und 56 Kurzgeschichten) und verwenden teilweise auch beinahe identische Textstücke. So liest sich der im Film geäusserte Grundsatz «It’s a huge mistake to theorize before one has data. Inevitably one begins to twist facts to suit theories, instead of theories to suit facts.» fast identisch in der Kurzgeschichte «A Scandal in Bohemia» («It is a capital mistake to theorize before one has data. Insenibly one begins to twist facts to suit theories instead of theories to suit facts.»), in der auch Irene Adler ihren Auftritt hat.
Einzig bei der Action entfernen sich die Filmemacher stark von der Vorlage. In den Erzählungen von Doyle wurde gerade einmal ein einziges Mal auf eine Person geschossen. Ansonsten sind die Fälle des Detektivs, der seine Überlegungen lieber in seinem Wohnzimmer als am Tatort anstellt, geprägt von Nacherzählungen. Einige Szenen sind daher deutlich zu brachial inszeniert, und die visuellen Effekte werden zwischendurch leicht überstrapaziert. Besonders beim Kampf mit dem Riesen im Schiffdock stimmen nicht alle Grössenverhältnisse. Doch Ritchie und seinem Team ist es dennoch vorzüglich gelungen, die Stimmung gegen Ende des 19. Jahrhunderts einzufangen. Mit der von ihm gewohnten visuellen Eleganz entführt Ritchie in die Unterwelt von London. Vorzüglich ist auch die Musik von Hans Zimmer, der in seinen Kompositionen gleichermassen das Räderwerk im Hirn von Holmes wie auch die Industrialisierung antönen lässt.
Auch die Geschichte vermag zu fesseln, obschon gleich drei Autoren als Verfasser des Drehbuchs angegeben sind. Eigentlich ein sicheres Rezept für ein Desaster, zumal sich Michael Robert Johnson, Anthony Peckham und Simon Kinberg bisher noch nicht wirklich ausgezeichnet haben. Doch irgendwie haben sie die richtige Mischung aus Spannung, Humor und Action (um nur einige Elemente zu nennen) gefunden, um aus diesem «Sherlock Holmes» eine kurzweiliges Abenteuer in den schmutzigen Strassen von London zu gestalten. Das illustre Figurenkabinett, das neben Holmes und Watson auch noch aus Adler, Inspector Lestrade, dem stets pünktlich auftauchenden Constable Clark (William Houston) und Mary Morstan (Kelly Reilly), der zukünftigen Verlobten von Watson, besteht, setzen sie höchst wirksam ein.
Es lässt sich natürlich darüber streiten, ob Holmes und Watson wirklich in ihrem ersten neuen Abenteuer gleich die Welt retten müssen. Doch diese Diskussion erübrigt sich spätestens nach der Auflösung des Falls. Darin ist auch noch ein kluger Kommentar über die Manipulierbarkeit der Massen versteckt, die sich durch ihre Ängste von fast allen absurden Argumentationen und Ansichten überzeugen lassen. Die von Holmes praktizierte Kunst der sauberen Analyse treibt hingegen die Geschichte voran. Obschon bisweilen auch die überflüssige Zuspitzung auf die letzte Sekunde enthalten ist. Doch das schmälert den Genuss nur geringfügig.
«Sherlock Holmes» ist ein mit viel Schwung und treffender Stimmung inszeniertes Detektiv-Abenteuer. Da «Sherlock Holmes» weltweit 516,7 Millionen Dollar eingespielt hat, ist es wenig überraschend, dass Robert Downey Jr. nun neben «Iron Man» auch in einer weiteren Serie zu zusätzlichen Auftritten kommt. Ein Erzfeind von Holmes, der in den weiteren Folgen sicher noch eine grössere Rolle spielt, ist nebenbei auch schon eingeführt worden.
Auf der Blu-ray-Disc führt Guy Ritchie in der Maximum Movie Mode durch den Film. Diese Vermischung von Erklärungen über die Entstehung von Szenen mit eingefügten Kurzbeiträgen (insgesamt 31 Minuten) vermittelt interessante Eindrücke, enthält aber auch zu viele Pausen. Zudem wirkt das Auftreten von Ritchie ein wenig bemüht, besonders wenn er wiederholt darauf hinweist, dass er uns nun wieder den Film anschauen lässt. Wenn ich das möchte, kann ich diese Maximum Movie Mode auch ausschalten. Die Bildqualität ist tadellos. Die Abmischung der Tonspur in DTS-HD Master Audio 5.1 ist herausragend.
Bewertung:
Bild-/Tonqualität (Blu-ray):
Bonusmaterial (Blu-ray):
(Bilder: © Warner Home Video)
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